Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sommer mit dem Erdbeermaedchen

Der Sommer mit dem Erdbeermaedchen

Titel: Der Sommer mit dem Erdbeermaedchen
Autoren: Sabine Ludwigs
Vom Netzwerk:
„Nur mal so, falls ich Ja sage.“
    „Nein. Morgen.“
    „Morgen schon?“
    „Ja. Eine Beziehung zu jemandem herzustellen, braucht seine Zeit. Papa und ich würden dich absetzen und weiter nach Bernau fahren. Wir haben die Ferienwohnung ja längst bezahlt. Und wir können den Urlaub nicht so kurzfristig verschieben. Andernfalls kommst du wie geplant mit uns.“
    Nick, die Antwort in die Länge ziehend: „Okay.“
    Ihm kam eine Idee, eine, die ihn erleichtert aufatmen ließ.
    „Mama?“
    „Hm?“
    „Was wäre, wenn der Junge gar nicht verschwunden ist? Wenn Jan einfach nur abgehauen ist, wie Lina es gemacht hat? Dann will er nicht gefunden werden. Und bestimmt wird Lina ihn nicht verraten.“
    „Nein. Er ist nicht abgehauen.“
    „Woher weißt du das?“
    Sie schloss den Kofferdeckel und ließ die Schlösser einrasten. „Die Polizei glaubt das nicht. Alles spricht dagegen. Sie sagen, die meisten Kids hauen zwar planlos von zu Haus ab. Aber sie gehen nicht zu weit weg von ihrer vertrauten Umgebung. Meistens übernachten sie heimlich bei Freunden. Oder sie packen ihre Klamotten, nehmen ihre Ersparnisse, trampen irgendwohin und kehren nach Hause zurück, wenn die Kleider dreckig sind oder das Geld aufgebraucht ist.
    Jan hätte bestimmt sein Portemonnaie, sein Handy und das Fahrrad mitgenommen. Und Lina. Die beiden stehen sich unheimlich nah. Außerdem haut niemand ohne Grund ab – und Jan, nun, er hatte keinen Grund.“
    „Sagt wer?“
    „Einfach jeder. Nachbarn. Die Lehrer. Seine Eltern. Seine Mutter und sein Vater sind völlig verzweifelt.“
    „Du hast gesagt, er wäre sein Stiefvater.“
    „Macht das einen Unterschied? Sein leiblicher Vater schert sich keinen Deut um ihn.“
    Nick zuckte unbestimmt mit den Schultern. „Was meinen Jans Freunde? Und die Schulkollegen?“
    „Dass er keine Probleme erwähnt hat, soviel ich weiß.“
    Seine Mutter trat dichter an Nick heran. Sie schlang die Arme um ihn und er um sie. Manchmal mochte er das noch sehr gern, wenn sie ihn umarmte. Nicht immer. Aber jetzt.
    „Meine Fantasie reicht nicht aus, um mir auszumalen, wie ich mich fühlen würde, wenn du verschwunden wärst. Allein bei der Vorstellung könnte ich schreien! Diese furchtbare Ungewissheit muss einen Menschen auffressen.“
    Nick erwiderte nichts.
    „Und wenn sie Jan finden und er tot ist? Oder wenn sie ihn niemals finden? Ich würde lieber sterben, als dich zu verlieren, Nick.“ Sie umklammerte ihn.
    „Hör auf damit, Mama.“ Er befreite sich und schaute in ihr gequältes Gesicht. Diese Sache nahm sie wirklich mit. Und das machte es auf eine eigenartige Weise zu etwas, womit er durchaus doch zu tun hatte.
    Mist.
    Sie strich ihm das Haar aus der Stirn. „Pass immer gut auf dich auf.“
    Nick grinste schief. „Ich tue mein Bestes.“
    „Gut“, sie lächelte zurück. „Ich fahre mit Papa zur Tankstelle, damit wir gleich morgen früh los können. Bis gleich.“
    „Bis gleich.“
    „Nick?“
    „Hm?“
    „Hab dich lieb.“
    Und er, mit Drachenohren: „Hm.“
    Später, als Nick allein in seinem Zimmer war, stand er eine Weile grübelnd am Fenster. Er beobachtete die tief stehende Sonne.
    Er hatte keine Geschwister. Es gab nur seine Eltern. Aber der Gedanke, dass einer von den beiden eines Tages einfach spurlos verschwinden würde, war so unvorstellbar, als wenn man ihm gesagt hätte, dass die Sonne verschwunden wäre.
    Und wenn sie niemals vom Tanken zurückkämen? Er würde sich den Rest seines Lebens fragen, was geschehen war. Ob er es hätte kommen sehen müssen, ob möglicherweise irgendwelche Vorzeichen oder Anhaltspunkte darauf hingedeutet hätten.
    Und ob er es hätte verhindern können – was immer „es“ war.
    Nick spürte ein Ziehen in sich. An der Stelle im Bauch, die direkt zwischen Herz und Magen lag. Flau. Mulmig. Ein wenig schmerzhaft. Es trieb ihm Feuchtigkeit in die Augen, was ihn überrumpelte. Er drängte sie zurück.
    Nick wandte sich vom Fenster ab und stöpselte seine E-Gitarre ein. Musik zu machen war für ihn eine der wenigen Möglichkeiten, den Kopf freizukriegen. Und die Stelle zwischen Herz und Magen. Er hatte zweifellos Talent, das bestätigte man ihm dauernd, und das zeichnete sich bereits im Kindergarten ab.
    Er besaß das richtige Gehör und ein angeborenes Gefühl für Rhythmen. Blockflöte spielen hatte er sich ebenso selbst beigebracht wie Noten lesen. Nicht lange darauf kreierte er eigene, kleine Melodien, ohne darüber nachzudenken. Es lag ihm einfach im
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher