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Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Vorspiel
     
    »Joe King ist wieder gesehen worden.«
    »Stonehorn?«
    »Ja.«
    »Bei uns hier?«
    »In New City.«
    »Die Stammespolizei ist unterrichtet?«
    »Ja.«
    »Sonst noch etwas?«
    »Die Schulferien beginnen. Der Stammesrat schlägt vor, den Schülern, die jetzt für drei Monate aus den Internaten nach Hause kommen, eine Gelegenheit zu nützlicher Arbeit und etwas Verdienst zu verschaffen. Wenn sie zu lange herumlungern, kommen sie auf Abwege.«
    »An das Dezernat für Ökonomie. – Ich danke.«
    Der Superintendent verabschiedete seinen Stellvertreter mit einem Blick. Dieser ging, die Akten unter dem Arm, zur Tür, klinkte sie leise auf und drückte sie ebenso leise wieder hinter sich zu. Etwas straffer aufgerichtet, als es sonst in Büros üblich war, wies er die Sekretärin an, die Vorlage des Stammesrates Mr. Haverman, dem Dezernenten für Ökonomie, zu bringen, und zwar sogleich, da die Schulen in wenigen Tagen schlossen. Das Mädchen zwang sich, die Augen nicht auf den Sprecher zu richten. Sie hatte die Lider gesenkt, erhob sich gehorsam, nahm die Mappe in Empfang und trippelte auf ihren weißen Schuhen mit den hohen Hacken zur Tür. Die Büros der einzelnen Dezernate befanden sich im Nebenhaus.
    Nick Shaw sah ihr einen Augenblick nach. Das Bild des künstlich gelockten schwarzen Haares, des braunen Nackens nahm er nur unbewußt in sich auf. Er fragte sich im stillen, ob das Mädchen schon etwas Neues über Joe King erfahren habe. Während er dem Superintendent berichtet hatte, war ihm so gewesen, als ob im Sekretariat ein Besucher vorgesprochen habe. Die Polstertür ließ kaum einen Laut durch, aber in dem einstöckigen Holzhaus erzeugte jeder Schritt in dem Dielenboden Schwingungen, die Nick Shaw bis herauf in die Knie zu fühlen meinte. Er war an diesem Tage sehr nervös.
    Aber er unterdrückte jede Frage, so wie das Mädchen jeden Blick unterdrückt hatte. Nick hatte die Erfahrung gemacht, daß Indianer ihn stets täuschten, wenn er sie ausforschen wollte. Man mußte warten, bis sie selbst sprachen und über eine Reihe unwichtig erscheinender Bemerkungen endlich zum Wichtigen kamen. Eine solche Wartezeit dehnte sich im Ablauf eines geordneten Verwaltungsmechanismus, wie Shaw ihn rings um sich in Gang zu halten liebte, oft übermäßig lang. Der Beamte seufzte leicht und begab sich in sein benachbartes, an der Rückseite des Hauses gelegenes Dienstzimmer, das zweckmäßig, wenn auch mit einem Polstersessel weniger als das des Superintendent ausgestattet war. Er nahm an seinem Schreibtisch Platz und vertiefte sich in die Akten.
    Als es klopfte und auf sein »Bitte« niemand eintrat, stand er auf und ging zur Tür. Aber er fand niemanden davor. Die Sekretärin war noch nicht zurück. Auf einem der Warteplätze hatte sich eine Indianerin niedergelassen. Nick Shaw hielt es für ausgeschlossen, daß sie geklopft hatte. Seine Nerven hatten ihm einen Streich gespielt. Er fragte die Frau, was sie herführe. Sie wollte einen Brief für den blinden indianischen Richter abgeben, für Ed Crazy Eagle.
    »Warten Sie, die Sekretärin wird das erledigen.«
    Die Frau verfiel wieder in eine teilnahmslos wirkende Haltung. Shaw kehrte an seinen Schreibtisch zurück und steckte sich eine Zigarette an, obgleich er es nicht liebte, im Dienst zu rauchen. Es gehörte sich nicht. Er drückte die Zigarette wieder aus. Irgendwo in dieser Prärie mußte es einen Punkt völliger Korrektheit geben, und dieser Punkt war das Dienstzimmer Nick Shaws.
    Er hörte das Geräusch eines Wagens, der eben auf der Straße vorbeifuhr. Der Motor war alt, etwas zu laut.
    Shaw unterzeichnete eine Vorlage für den Superintendent.
     
    Der Wagen, den Shaw gehört hatte, hielt vor einem der gleichförmigen einstöckigen Holzhäuser, die die Agenturstraße hinter Vorgärten säumten. Das Haus stand am Ende der Straße. Es war das kleine, einfache Gebäude des Stammesgerichtes. Der Blinde stieg aus und fand den ihm bekannten Weg in das Haus ohne Mühe. Im letzten Raum linker Hand traf er den alten indianischen Richter, der den Rang eines ›Gerichtspräsidenten‹ an dem bescheidenen Stammesgericht einnahm. Die Stimmen hatten ihm schon verraten, daß vor dem alten Richter zwei Polizisten standen. Sie hatten in ihrer Stammessprache gesprochen, aber als der Blinde eintrat, der die Stammessprache nicht kannte, gingen sie dazu über, englisch zu sprechen.
    »In New City«, sagte der eine, ein starker und großer Mensch, dessen Stimme von oben herunter
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