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Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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ihm?«
    »Ich weiß nicht. Aber was er gesagt hat und wie er es gesagt hat, das paßt nicht zu ihm. Ich glaube, daß ihm das jemand anders eingegeben hat.«
    »Wer?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Vermutest du etwas?«
    »Ja. Aber das kann ich nicht sagen, weil ich es nicht zu beweisen vermag.«
     

Queenie
     
    Die Temperaturregler waren in Betrieb, und es herrschte in den Räumen der Kunstschule jene gemäßigte, immer gleichbleibende Wärme, an deren Unnatur Queenie sich erst hatte gewöhnen müssen.
    Sie war erwacht, aber draußen war es noch dunkel. Der Brunnen, auf den sie vom Bett aus schauen konnte, war abgestellt. In den Bäumen rauschte der Nachtwind. Queenie hörte es, obgleich die Fenster geschlossen bleiben mußten. Sie hatte die Augen offen, und ihre Gedanken spielten zwischen Traum und klarem Bewußtsein.
    Am vergangenen Abend hatte die Senior-Klasse das Baccalaureat gefeiert. Die Schüler und Schülerinnen der elften Klasse waren dabeigewesen. In Queenies Erinnerung zogen die Vorgänge noch einmal vorüber. Im kommenden Sommer wollte sie selbst unter denjenigen sein, die das Examen bestanden hatten und die Schule verließen. Dann würde auch sie den weiten Talar und die Kappe mit den vier Ecken tragen, die an das alte Zauberzeichen der vier Weltecken erinnerte.
    »Unsere Vorfahren«, hatte der Sprecher der Klasse gesagt, »sahen den Mond und die Sonne, das Wasser und die Erde. Von ihnen lernten sie ihre Geheimnisse und ihre Kunst. Wir haben Lehrer. Wir haben gelernt. Wir werden weiterlernen. Wenn wir aber vergessen sollten, daß wir Indianer sind, so wird unsere Kunst leer werden, unsere Hände werden fahrig sein, unsere Augen trübe. Darum vergeßt eure Väter und Mütter nicht, und nicht den Mond noch den Wind, nicht die Erde und nicht die Quellen. Ihr müßt wissen, woher ihr eure Kraft zieht. Ich habe gesprochen.«
    Draußen rauschte es in den Wipfeln. Es war drückend heiß, selbst in der Nacht, und Wirbelstürme standen bevor.
    Bis Mitternacht war Unruhe gewesen. Die Schüler und Schülerinnen hatten getanzt. Die Anverwandten und Freunde, die zu der Abschlußfeier gekommen waren, hatten geplaudert. Hin und wieder hatte ein kleines Kind geweint, ehe es einschlief. Die Familien brachten alles mit, Kind und Kegel; wer sollte sich daheim ihrer annehmen, und auf die Mutter wollte keiner der Schüler an diesem Festtage verzichten. Aber jetzt, kurz vor Anbruch der Morgendämmerung, war es still rings um die großen Anlagen und die Gebäude der Kunstschule. Die meisten Gäste hatten mit ihren Wagen oder mit dem Bus die kleine Stadt im Süden schon wieder verlassen. Queenie träumte mit offenen Augen.
    Sie hatte am Abend zwei Entscheidungen gefällt, und beide erschienen ihr richtig, je mehr sie darüber nachdachte. Sie verkaufte das Bild nicht. Dieses Bild verkaufte sie nicht. Der Mann, der es hatte haben wollen, war ein Interessent. Aber ein Mann der Geheimnisse war er nicht. Sie konnte ihm das Bild nicht geben. Nie.
    Mochte er zufrieden sein mit dem Gemälde, auf dem der Schild auf rotem Grund dem Betrachter in die Augen sprang. Er hatte es teuer bezahlt. Indianische Künstler waren in Ausdruck und Technik ungewöhnlich früh reif. Wahrscheinlich hegte der Käufer auch die Hoffnung, sich mit dem hohen Preis für das erste ein moralisches Anrecht auf das zweite Bild zu erwerben.
    Nein. Tashina hatte gesprochen.
    Vielleicht hätte Queenie nachgegeben. Aber dieses zweite Bild hatte nicht Queenie gemalt, die den weißen Männern und Frauen von der Schönheit altindianischer Kunst neu erzählen wollte. Dieses zweite Bild war das Bild Tashinas, die in Queenie verborgen war und von der die Lehrer nichts wußten. »Ich befehle meinem Gesicht, eine Maske zu werden. Meine Gefühle sind verwundbar. Sie müssen bedeckt bleiben…« Dieser Zweizeiler war gedruckt, aber Queenie hatte nie gestanden, daß er aus ihren Gedanken geboren war. Sie hatte ihn auf einen Zettel mit Druckbuchstaben aufgeklebt, und diesen Zettel hatte sie Conny finden lassen. Conny glaubte zu wissen, was er zu tun habe. Er hatte sich bereit gefunden, ein solches Gedicht auf seinen Namen zu nehmen, obgleich die Lehrer nun Geheimnisse in seinem vordergründigen Empfinden vermuteten, zu denen er nie Zugang hatte. Queenie lächelte.
    Waren Männer dumm?
    Waren Künstler eitel?
    Das Bild mit den offenen Händen verkaufte sie nicht. Der Lehrer meinte, daß es eine Studie sei, eine Skizze. Sie hatte dazu genickt und hatte nicht nur den Schleier ihres
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