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0088 - Der Guru aus dem Totenreich

0088 - Der Guru aus dem Totenreich

Titel: 0088 - Der Guru aus dem Totenreich
Autoren: Franc Helgath
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Regungslos starrte er in eine bodenlose Dunkelheit. Er nahm seine Umgebung nicht mehr wahr. Rayanagus Geist entrückte dieser Welt, schwang hinaus in unmeßbare Femen.
    Anders Sadhu Shandri, sein Guru. Er nahm seine Umgebung durchaus noch wahr.
    Gebannt verfolgte er, wie Nebelschwaden aus den Ritzen zwischen den kalten, feuchten Steinplatten hervorstiegen, sich zu schemenhaften Gestalten verdichteten, sich wieder auflösten, nur um sich aufs neue zu Firmen zu ballen. Die Dämpfe wurden bunt, schreiende Farben wirbelten durcheinander. Das Flämmchen der Öllampe flackerte in einem nicht spürbaren Luftzug.
    Sadhu Shandris Atem ging rasselnd. Er keuchte erregt. Seine ausgetrockneten Mumienlippen zitterten.
    Augenblickelang kehrten seine Gedanken zum Park vor dem Red Fort zurück. Er sah sich auf der von der Sonne gedörrten Wiese stehen, wie er sich der Tortur des panchi agni aussetzte, der Buße der fünf Feuer. Die Übung diente der Läuterung durch Selbstkasteiung.
    Er mußte dazu in der mörderischen Tageshitze stehen, den Körper unnatürlich verrenkt. Bis zur totalen Erschöpfung. Rayanagu hatte dabei die fünf Feuerstellen um ihn herum mit dem getrockneten Mist heiliger Kühe geschürt, um die selbstauferlegte Qual durch die zusätzliche Hitze noch zu verstärken.
    Die Bettelschale war gut gefüllt gewesen an diesem Tag. Neben Münzen und zerknitterten Rupienscheinen auch mit einem in schmutziges Leinen gewickelten Paket. Er wußte nicht, wer das Paket in die Blechschale gelegt hatte. Rayanagu konnte es ihm nicht sagen.
    Doch als er das Paket öffnete, empfand er eine tiefe Freude. Die engbeschriebenen Schriftrollen aus Bambusfasern mußten uralt sein. Es waren vedas gewesen, geheime Texte.
    Sadhu Shandri hielt sie für ein Geschenk des Himmels.
    Sie waren ein Geschenk des Teufels.
    Und ein menschlicher Satan hatte sie ihm zugespielt…
    Er fühlte, wie sein ausgezehrter Körper steif wie ein Stück Holz wurde. Von dem bunt schillernden Nebelgebilde ging eine klamme Kälte aus, die wie Eiswasser durch seine Adern kroch. Er sah zu, wie seine Haut sich ins Grünliche verfärbte, doch er spürte keine Schmerzen. Im Gegenteil: er fühlte sich angenehm entspannt. In seinen Gedanken formulierte sich der Dank an die unbekannte Gottheit, die er gerufen hatte.
    Rudrasvin, den Drachenköpfigen…
    Sein Name war getilgt in den Schriften der Utschipaden, des Buchs der Bücher, in dem die Weisheit der großen indischen Vergangenheit gesammelt war.
    Das Wirbeln der von einer unsichtbaren Macht geschlagenen Trommel wurde lauter, aggressiver. Licht von nirgendwo verbreitete sich im Raum, durchstrahlte ihn wie eine geheimnisvolle Aura. Das Flämmchen der Öllampe verlosch. Sadhu Shandri saß still und starr. Ohne daß er es wollte, schloß er seine Augen, sah trotzdem mit seinem geistigen Auge weiter, als wären die faltigen, tief in den Höhlen liegenden Lider durchsichtig wie geschliffenes Glas. Eine heitere Ruhe überkam ihn, obwohl das Bild, das sich ihm bot, ein schreckliches war.
    Die Gedankenströme eines anderen tasteten in sein Gehirn. Weich und auf eine unsagbare Art klebrig. Ganz kurz nur flackerte das Gefühl des Ekels in Shandri auf, doch es verging schneller als es gekommen war. Die trügerische Gelassenheit aber blieb. Ungeheuerlichste Gedanken wurden als Selbstverständlichkeiten hingenommen.
    Shandri auf, doch es verging schneller, les tun würde, was die Geisterstimme in seinem Inneren ihm abverlangte. Was es auch sei. Sadhu Shandri hatte keinen eigenen Willen mehr. Ekstatisch zuckte sein zum Skelett abgemagerter Körper zum immer fordernder dröhnenden Stakkato der Trommeln.
    Dann ein Sirren und Singen in seinem Gehirn. Nie gehörte Sphärenklänge brachten Nerven und Muskelfasern zum Schwingen.
    »Ich bin bereit, großer Rudrasvin…« murmelte der Sadhu tonlos. »Ja. Ich bin bereit. Ich empfange deine Befehle, o Herr. Verfüge über Shandri, deinen Diener…«
    Der stofflose Nebel hatte sich verdichtet, geordnet waren seine grellen Farben. Ein Dämonenwesen schwebte materialisiert im dunklen, stickigen Gewölbe, über das der nächtliche Verkehr der Altstadt hinwegbrauste. Ein dumpfes Summen nur, das Shandri nicht mehr hörte. Er lauschte der Stimme, die zu ihm sprach. Sein von asketischen Zügen geprägtes Gesicht schien verzückt. Ein Ausdruck stiller Freude verschönte die eingefallenen Wangen, den verdreckten und ungepflegten, weißen, spärlichen Bart am Kinn, der in einer bräunlichen Spitze knapp
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