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Herrn Chabres Kur

Herrn Chabres Kur

Titel: Herrn Chabres Kur
Autoren: Emile Zola
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Füßen Hektor, sie lauschte dem Gesang der rauhen Stimmen, der aus der zunehmenden Dunkelheit zu ihr herüberdrang, aber bald von dem Rauschen des Meeres übertönt ward, und sie versank in süße Träumerei. Das Meer sang ein leidenschaftliches Lied, wild jauchzend und lockend, allmählich aber wurde die Stimme sanfter, schmelzender, wie hingebende Liebe. Und Stella träumte von solch gewaltiger Liebe, träumte von einem Riesen, den die Liebe zu ihr gebändigt hätte. –
    Herr Chabre fragte seine Frau öfters: »Du langweilst dich wohl hier in diesem Neste?«
    Aber sie beeilte sich, ihm jedesmal die Versicherung zu geben, daß sie es gar nicht langweilig finde.
    Und in der Tat; hatte sie nicht die Gänse, Schweine und Sardellen zu ihrer Belustigung? War nicht sogar der kleine Friedhof in seinem Blütenschmuck sehr heiter? Die wenigen Fremden, die man nur im Vorübergehen stumm grüßte, schienen ihr anregender als das lärmende Treiben der großen Gesellschaft in den Modebädern, ja sie fand Piriac reizend und unterhaltend. Als nach vierzehn Tagen Herr Chabre, der sich tödlich langweilte und der Ansicht war, daß er genug Schaltiere gegessen, nach Paris zurückkehren wollte, sagte sie: »Was fällt dir ein, du hast deine Kur noch lange nicht beendet, ich weiß es, du mußt noch mehr Krustazeen zu dir nehmen.«
IV
    Eines Abends sagte Hektor: »Wir werden morgen eine starke Ebbe haben, da könnten wir Meergarnelen fischen.«
    Der Vorschlag fand Stellas vollen Beifall. Ja, Garnelenfischen, das wünschte sie schon lange. Herr Chabre dagegen erhob Einwendungen. Erstens, meinte er, finge man nie etwas, und zweitens wäre es weit einfacher, einen Bauernknaben, der das für einige Pfennige gern besorge, damit zu beauftragen, man hätte dann nicht nötig, bis übers Knie naß zu werden und sich die Füße an den spitzen Steinen aufzureißen. Aber seine Frau war so ganz Feuer und Flamme, daß er schließlich nachgeben mußte, ja er entschloß sich sogar, trotz seiner Abneigung gegen das kalte Wasser, mit von der Partie zu sein, er wollte auch fischen und den andern zeigen, was er leisten könne, wenn er sich nur etwas ernstlich vornähme. Und sofort traf er seine Vorbereitungen, indem er der Magd Befehl gab, ihm seine Stiefel mit Tran zu schmieren. Hektor versprach, die Netze zu besorgen, und als er sich am nächsten Tage einstellte, fand er Herrn Chabre schon völlig bereit; er trug einen weißen Flanellanzug und hatte seine Krawatte mit so viel Sorgfalt geknüpft, als sollte er sich auf eine Hochzeit begeben. Stella hatte einfach über ihr Schwimmkleid einen Leinenkittel gezogen, und Hektor war ebenfalls im Schwimmanzug.
    Sie hatten eine halbe Meile durch Sand und Kies und über Seegras zu wandern, um zu einem Felsen zu gelangen, an welchem es Hektars Aussage zufolge förmlich Garnelenbänke gab. Er schritt ruhig geradeswegs voraus, ohne den Wasserpfützen oder sonstigen Hindernissen auszuweichen, Stella folgte heiter und freute sich der feuchten Frische des Sandes, in dem ihre Füßchen wateten; Herr Chabre bildete die Nachhut; er vermochte nicht einzusehen, warum er sich die Stiefel naß machen sollte, ehe er an Ort und Stelle war, und wich jeder Wasserlache unendlich vorsichtig aus, er machte große Bogen um sie, sprang über das Gerinnsel und ging auf den Fußspitzen wie ein Großstädter, der ängstlich mit seinen Lackschuhen Regenpfützen ausweicht. Er war schon völlig atemlos und fragte alle Augenblicke: »Ist's noch weit, Herr Hektor? Sagen Sie, warum fischen wir nicht hier, ich sehe ja das Getier herumkrabbeln, ich bin überzeugt, es genügt das Netz auszuwerfen, um einen kolossalen Zug zu tun!«
    »Ja, wenn Sie meinen, dann werfen Sie Ihr Netz immerhin aus, mein lieber Herr Chabre«, entgegnete Hektor weiterschreitend.
    Herr Chabre, der zu Atem kommen wollte, blieb stehen und senkte sein Netz in eine winzige Wasserlache; natürlich fing er nicht einmal Seegrashalme, denn das Wasser war klar und rein. Da schulterte Herr Chabre sein Netz wieder und schritt den Voraneilenden würdevoll nach; da er aber beweisen wollte, daß es überall Garnelen gäbe, hielt er sich unterwegs oft auf und blieb schließlich weit zurück.
    Indes sank das Meer immer tiefer, die Ebbe war eingetreten, und das Wasser war von der Küste schon um einen Kilometer zurückgewichen. Bald dehnte sich die Sandfläche ins Unermeßliche, das Meer, das dem Auge nur noch als ein ferner grüner Strich erschien, sank immer tiefer und tiefer und
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