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Herrn Chabres Kur

Herrn Chabres Kur

Titel: Herrn Chabres Kur
Autoren: Emile Zola
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sie und ließen sie leise erschaudern, wenn sie darüber schwamm; sie rührten und regten sich wie seltsam gestaltete Tiere, die einen hafteten breit wie mit zahllosen Füßen am Felsgestein, andre wieder ringelten und schmiegten sich wie Schlangen. Stella konnte nicht müde werden, alles zu bestaunen und jede neue Entdeckung mit lauten Ausrufen zu begrüßen.
    »Nein, der große dicke Stein... aber er rührt sich ja, streckt sich – ist's wirklich ein Stein? Ah, und hier ist gar ein Baum, ein wirklicher Baum mit Ästen und Zweigen – oh, oh, da kommt ein Fisch – ah, der kann schwimmen – fort ist er!«
    Und nach einer Weile rief sie: »Aber was ist denn das? Ein Brautstrauß! Gibt es denn Brautsträuße im Meere? Sehen Sie doch nur, sieht es nicht wirklich wie weiße Blumen aus? Wirklich reizend!«
    Hektor tauchte und brachte eine Handvoll weißlicher Gräser herauf, die sofort, als sie an die Luft kamen, zusammenschrumpften und welkten.
    »Ich danke Ihnen sehr, daß Sie sich die Mühe genommen«, sagte Stella, und zu ihrem Manne: »Bitte, hebe mir das auf«, und warf ihm die Handvoll Gräser zu.
    Dann schwammen sie noch eine Weile. Sie bewegten das Wasser lebhaft mit den Armen, daß es um sie her schäumte und rauschte; allmählich wurden die Bewegungen ruhiger, sie glitten lautlos dahin, nur zogen sie mit den Armen immer größere Kreise, die flimmernd zerrannen.
    Hektor schwamm hinter Stella und suchte genau in dieselbe Furche, die ihr schöner Leib zog, zu gelangen, er empfand die Flut, die sie umspülte, als eine Liebkosung, und für beide hatte es einen eigenen geheimnisvollen Reiz, von denselben Wellen geschaukelt zu werden. Die unendliche See um sie her war noch ruhiger, glatter geworden und schimmerte rosenrot.
    »Meine Liebe, du wirst dich erkälten«, sagte Herr Chabre, dem der Schweiß von der Stirne troff, endlich zaghaft.
    »Ich gehe schon«, entgegnete sie.
    Und so rasch eilte sie an der Kette, die an der Abschrägung der Werfte als Halt diente, aufwärts, daß Hektor, der gelauert hatte, um sie aus dem Wasser steigen zu sehen, sie erst erblickte, als sie schon oben auf der Plattform in ihren Mantel gehüllt lächelnd und fröstelnd stand. Sie lächelte über sein verwundertes und enttäuschtes Gesicht, und sie fröstelte, weil sie wußte, daß der Schauer, der ihre schlanke und doch üppige Gestalt leise schüttelte, sie reizend erscheinen ließ.
III
    Das Leben in Piriac war von einer einschläfernden Eintönigkeit. An Fremden gab es nur wenige Personen, ein Ehepaar, das den ganzen Tag fischte, ein alter tauber Herr und zwei ältliche Damen; die Leute lebten jedes für sich, und es fand keinerlei Verkehr statt. Stella würde sich tödlich gelangweilt haben, wenn Hektor nicht nach kurzer Bekanntschaft täglich gekommen wäre. Er hatte sich Herrn Chabres innige Freundschaft erworben, nachdem sie eines Tages gemeinsam einen Spaziergang längs der Küste unternommen hatten. Herr Chabre vertraute dem jungen Manne den Grund der Badereise an. Er wählte dabei seine Ausdrücke und bemühte sich, es wissenschaftlich zu erläutern, warum er Schaltiere in so großen Mengen zu sich nahm.
    Hektor sah ihn verwundert vom Kopf bis zu den Füßen an und vergaß sogar zu erröten, es kam ihm ganz unbegreiflich vor, daß ein Mann einer solchen Kur bedürfe. Indes stellte er sich am nächsten Tage mit einem Körbchen prächtiger eßbarer Muscheln ein, die Herr Chabre sehr erfreut und dankbar annahm. Und da Hektor ein sehr geschickter Fischer war, der jeden Fels in der Bucht kannte, so war es ihm ein leichtes, seinem neuen Freunde täglich die Ausbeute seiner »Jagd« zu bringen. Er brachte Miesmuscheln, die er bei Ebbe fand, Arapeden, die er mit dem Messer von dem Felsgestein löste, Stachelmuscheln, die ihm beim Öffnen die Finger zerstachen, und noch eine Unzahl andre, die er mit seltsamen Namen benannte, aber selber noch nie versucht hatte. Und Herr Chabre, der ganz entzückt war, daß er für Schaltiere keinen Pfennig mehr auszugeben brauchte, erschöpfte sich in Danksagungen.
    Hektor hatte nun einen Vorwand für tägliche Besuche, und täglich stellte er sich bei Stella mit den Worten ein:
    »Ich bringe Muscheltiere für Herrn Chabres Kur.« Und beide lächelten; in ihren Augen lachte der Schalk, sie fanden Herrn Chabres Kur ungemein spaßhaft.
    Stella nahm allmorgendlich ihr Bad, und dann begleitete sie Hektor auf ihrem Spaziergang. Ihr Gatte war stets von der Partie, aber da die beiden rasch gingen und seine
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