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Herrn Chabres Kur

Herrn Chabres Kur

Titel: Herrn Chabres Kur
Autoren: Emile Zola
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heißem, verzehrendem Blicke an.
II
    Die Chabres hatten in Piriac eine Wohnung mit der Aussicht aufs Meer gemietet, und da es im ganzen Dorfe nur Schenken, aber keinen ordentlichen Gasthof gab, so waren sie genötigt, die Mahlzeiten im Hause einzunehmen. Sie hatten eine Magd genommen, doch diese bereitete die Speisen, die sie immer halb verbrennen ließ, in einer Weise zu, daß Stella vorzog, trockenes Brot zu essen. Herr Chabre meinte, man wäre ja nicht um des Wohllebens willen hergekommen und müßte des guten Zweckes wegen die schlechte Kost in den Kauf nehmen. Er selbst aber ließ die verdorbenen Speisen unberührt und stopfte sich mit der Gewissenhaftigkeit eines Patienten, der ein Medikament einnimmt, zu allen Mahlzeiten mit Schaltieren aller Art voll. Das Schlimmste dabei war, daß er diese kleinen seltsam gebildeten Seeungeheuer nicht ausstehen konnte. Er war an eine schlicht bürgerliche Küche gewöhnt und Zuckerwerk nicht abhold, und nun mußte er diese salzigen, scharf und widerlich schmeckenden Dinger massenhaft verschlucken! Aber was tut man nicht alles dem ersehnten Kindersegen zuliebe!
    »Auch du solltest Schaltiere essen«, sagte er zu seiner Frau. Sie entgegnete, daß der Doktor ihr nichts verordnet hätte, sie es also gar nicht nötig habe; da wurde er aber aufgebracht und meinte, es sei doch selbstverständlich, daß sie sich beide der Kur unterziehen müßten. Die schöne Frau Chabre verzog ihr rosiges Mündchen, warf einen sprechenden Blick auf ihren fettleibigen Gemahl und lächelte kaum merklich; da sie aber zu gutmütig war, um, wen es auch sei, zu kränken, sagte sie kein Wort. Schließlich ließ sie sich täglich Austern bringen und aß zu jeder Mahlzeit ein Dutzend. Nicht, daß sie sie für ihre Person nötig gehabt hätte, doch sie liebte sie leidenschaftlich.
    Ihre Hauptleidenschaft indes war das Schwimmen, und täglich weilte sie stundenlang im Meere, zu Herrn Chabres größtem Mißvergnügen, weil er das Wasser haßte und fürchtete; da er es aber für passend hielt, dem Bade seiner Frau vom Strande aus beizuwohnen, verdroß es ihn, stundenlang in der glühenden Sonnenhitze ihrer harren zu müssen.
    Es war am dritten Tage nach ihrer Ankunft in Piriac; Herr Chabre stand am Ufer und sah seiner Frau beim Schwimmen zu. Er war tadellos in Schwarz gekleidet und trug einen Zylinder, wie für einen Staatsbesuch, nur hatte er einen grüngefütterten Schattenspender mitgenommen, denn die Sonne versprach heiß zu werden.
    »Ist das Wasser angenehm?« fragte er seine Frau und tat, als ob er sich riesig für das Bad interessiere.
    »Sehr angenehm«, entgegnete sie und schwamm weiter. Stella hatte hier das Bad gefunden, wie sie es liebte. Sie mochte einen Strand nicht, wo man weit hinaus gehen muß und es lange dauert, ehe das Wasser bis zum Gürtel, bis zur Achsel steigt, sie liebte es, gleich ins Tiefe zu springen, und benötigte, wie sie sagte, mindestens sechs Meter Tiefe, um sich nicht an den Klippen anzuschlagen. Hier in Piriac konnte sie vom Ufer aus ihren beliebten Kopfsprung machen und gleich wie ein Fisch fortschwimmen. Sie trug ein blaues Schwimmkleid, das Arme und Beine frei ließ, und sah ungemein reizend aus.
    Herr Chabre stand feierlich am Ufer und fing an unruhig zu werden. Die Sonne brannte heiß herab, und er zog dreimal seine Uhr; endlich, nachdem er konstatiert hatte, daß seine Frau schon eine Viertelstunde im Wasser war, wagte er es, ihr schüchtern zuzurufen: »Du bleibst zu lange, meine Liebe, du weißt, daß allzu langes Baden ungesund ist.«
    »Ich bin doch kaum hereingegangen«, antwortete sie, »das Wasser ist so mollig und angenehm wie Milch; wenn du dich aber langweilst, geh nur, ich bedarf deiner nicht.«
    O nein, davon wollte er nichts hören, er wollte bleiben. »Ein Unglück ist schnell geschehen«, behauptete er, und Stella mußte bei dem Gedanken, welche Hilfe ihr wohl ihr Mann leisten würde, wenn sie plötzlich einen Krampf bekäme, unwillkürlich lächeln.
    Aber wie sie den Kopf wendete, fiel ihr am andern Ende der Werft etwas auf.
    »Was ist denn dort?« fragte sie, »ich will mal sehen.«
    Und mit weit ausgreifenden regelmäßigen Stößen schwamm sie fort.
    »Stella, Stella«, rief ihr Mann ängstlich, »willst du wohl dich nicht so weit entfernen, du weißt, daß ich Unvorsichtigkeiten nicht leiden mag!«
    Aber da Stella nicht auf ihn hörte, mußte er sich's genügen lassen, ihr nachzusehen: er stellte sich auf die Fußspitzen, um dem Strohhut seiner
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