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Herrn Chabres Kur

Herrn Chabres Kur

Titel: Herrn Chabres Kur
Autoren: Emile Zola
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Geißblatt und Efeu, und oben auf den Türmen blühte ein ganzer Garten goldgelben Ginsters und flammroter Nelken.
    In den alten Festungsgräben, die nur stellenweise verschüttet waren, stand grünes Schlammwasser mit metallischen Reflexen, und darüber beugten sich Weiden mit ihrem grünen Nixenhaar und weißstämmige Birken, deren zarte Blätter leise zitterten. Der Boden der Wälle war mit weichem, dichtem Gras bewachsen, und vollbelaubte uralte Ulmen ließen die Sonnenstrahlen kaum durchsickern. Kein Laut der Außenwelt drang in diese Einsamkeit, an der die Jahrhunderte nichts geändert hatten, nur das Quaken der Frösche in dem Wassergraben gab Kunde, daß nicht alles Leben erstorben war.
    Als die Chabres den Rundgang vollendet hatten, sagte er: »Zehn Türme hat die Festung, ich habe sie wohl gezählt.«
    Seinen Ärger indes erregten die vier Tore. Sie waren ungeheuer breit und dickmaurig, aber die Einfahrt war so enge, daß nur ein einziger Wagen passieren konnte und ein Ausweichen unmöglich gewesen wäre.
    »Nein, daß man so etwas im neunzehnten Jahrhundert noch stehenläßt«, äußerte er, »das ist doch zu lächerlich! Was für schöne sechs Stock hohe Häuser hier statt der dummen Mauer stehen könnten, ganz abgesehen von dem vielen Baumaterial, das man gewänne, wenn man die ganze alte Festung schleifen würde.«
    Sie hatten nun eine kleine Anhöhe vor dem Südtore der Stadt erreicht, von wo man einen herrlichen Fernblick genoß.
    Über die Giebel und Dächer der Vorstadthäuser hinweg blickte man in eine eigentümliche Landschaft. Vom Seesturm verkrüppelte Fichten, knorriges, seltsam verkrümmtes Busch- und Strauchwerk und dunkles Laub bildeten den Vordergrund, und weiterhin dehnte sich die weite nackte Ebene, aus deren grauer Sandfläche sich kleine Salzhäufchen und Salzlaken weiß abhoben, die in ihren viereckigen Becken im Sonnenscheine glitzerten. Und noch weiter, am äußersten Horizont, blaute der Ozean, und aus seinem tiefen Blau leuchteten drei Segelboote schneeig hervor, wie weiße Schwalben.
    Stella war in den herrlichen Anblick ganz versunken, da hörte sie ihren Mann plötzlich sagen: »Schau, dort ist der junge Mann, den wir heute vormittag bei der Kirche gesehen, findest du nicht auch, daß er unserm Bekannten Lariviere frappant ähnlich sieht? Wenn er auch bucklig wäre, könnte man sie fast verwechseln.«
    Stella hatte sich sachte umgedreht. Hektor stand in einiger Entfernung und war in den Anblick der Landschaft so vertieft, daß er die Anwesenheit der Fremden nicht zu bemerken schien.
    Stella setzte ihren Weg langsam fort und stützte sich auf den hohen Stock ihres Sonnenschirmes. Plötzlich löste sich die Masche des Schirmes und fiel, von dem Ehepaar unbemerkt, zu Boden. Sie hatten aber noch keine zehn Schritte gemacht, als eine Stimme hinter ihnen rief:
    »Gnädige Frau...«
    Als sie sich umwandten, sahen sie Hektor, der das Band gefunden hatte und es nun der jungen Frau mit einer Verbeugung überreichte.
    »Vielen Dank«, sagte Stella mit ihrem sanften Lächeln.
    Das sympathische Wesen Hektors gewann sofort die Zuneigung Herrn Chabres, und er ließ sich in ein Gespräch mit ihm ein. Er klagte ihm, daß er über die Wahl eines Strandes in Verlegenheit sei, und erbat sich freundliche Auskünfte.
    Der junge Mann, der seinem Äußern nach einem Riesen glich, war schüchtern wie ein Kind, er errötete und antwortete verlegen.
    »Ich glaube kaum, daß Sie in den beiden nächstgelegenen Orten Croisic und Batz finden werden, was sie suchen«, sagte er und wies nach zwei Glockentürmen, die man am Horizonte wahrnahm, »aber ich möchte Ihnen Piriac empfehlen.«
    Herr Chabre fragte nach der Entfernung. Es sei nur drei Meilen weit und habe eine schöne Lage, berichtete der junge Mann und fügte hinzu, daß er die Gegend genau kenne, weil er dort in der Nähe einen Onkel habe, den er öfters besuche. Herr Chabre erkundigte sich, ob es auch Schaltiere dort gebe, worauf er die befriedigende Antwort erhielt, daß es in Piriac von solchem Getier wimmele.
    Stella hatte sich an dem Gespräch nicht beteiligt; sie stand ein wenig abseits und kritzelte mit der Schirmspitze in dem Sand; der junge Mann schien durch ihre Gegenwart so verlegen, daß er die Augen nicht zu ihr hinwandte; da näherte sie sich etwas und sagte mit ihrer wohltönenden Stimme: »Guérande ist wirklich eine reizende Stadt, sie gefällt mir sehr.«
    »Oh, überaus reizend«, entgegnete Hektor und sah sie plötzlich mit
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