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Die Poison Diaries

Die Poison Diaries

Titel: Die Poison Diaries
Autoren: Maryrose Wood
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Kapitel 1
    15 . März
    Der Himmel ist grau.
    Den ganzen Morgen lang gingen Regenschauer nieder. Der kalte Wind kam in Böen und wurde im Verlauf des Tages schlimmer, bis der niedrigste Ast der großen Kastanie im Hof in der Mitte durchbrach und krachend zu Boden fiel. Wenn ich darunter gestanden hätte, wäre ich zerschmettert worden.
    Nach dem Frühstück setzte ich mich ans Spinnrad. Dann las ich eine Weile, aber meine Augen taten weh, weil ich am Abend zuvor so lange bei schlechtem Licht genäht hatte. Ich wechselte das Einweichwasser der Belladonna-Samen.
    Vater ist noch immer nicht heimgekehrt. Es sind jetzt zwei Tage.
    D ie Beeren der Belladonna-Pflanze sind wunderschön. Das fand ich schon immer. Am liebsten würde ich die dicken schwarzen Perlen auf eine Seidenschnur aufziehen und sie um meinen Hals tragen. Wenn sie nicht tödlich wären.
    Die Samen sind fast genauso giftig wie die Beeren. Vater hat mich schon tausendmal gewarnt. Aber ich nehme mich in Acht. Zuerst fülle ich die Samen in saubere Musselinbeutel, die ich sorgfältig mit einem Band verschließe. Dann hänge ich die Beutel in einen Eimer mit kaltem Wasser. Bevor man sie einpflanzen kann, müssen sie mindestens zwei Wochen lang eingeweicht werden, und das Wasser muss jeden Tag gewechselt werden. Genauso würde Mutter Natur es tun: Der Schnee fällt und schmilzt und fällt erneut. Es wäre zu riskant, die Samen während der kalten Monate draußen in der Erde zu lassen. Vögel könnten sie aufpicken und viele Meilen weit zu anderen Feldern tragen, wo sie ohne Vorwarnung Unheil anrichten würden. Stattdessen gaukle ich ihnen einen Winter vor, um sie zum Wachsen zu bringen, wann und wo ich es wünsche.
    Trotz all der Fürsorge, die ich ihnen angedeihen lasse, werden nur wenige Samen keimen, und von diesen wenigen wird die Hälfte wieder verdorren.
    Bist du so sehr in den Tod verliebt, schöne Dame? Ich nenne dich
schöne Dame
, denn das bedeutet Belladonna. Es ist merkwürdig, aber geboren zu werden scheint dir zu widerstreben. Ist unsere Welt nicht schön genug für dich? Oder gibt es vielleicht einen anderen, vollkommeneren Ort, an dem du dich lieber aufhältst?
    Ich muss über mich selbst lachen; was für ein närrischer Einfall! Aber wenn Vater fort ist, muss ich mich mit den Gefährten begnügen, die ich finden kann: mit einem Spatz auf dem Fenstersims, einem Schatten an der Wand oder aber einem winzigen, gefährlichen Samenkorn. Wir leben schon so lange hier in alten Mauern, Vater und ich, und er ist so oft fort. Selbst wenn er hier ist, ist er meist still und in seinen eigenen Gedanken versunken, so dass ich manchmal fürchte, meine Stimme zu verlieren, weil ich sie so selten benutze.
    Ich will sie erproben.
    »Hallo?«
    Pfui! Ich klinge wie ein Frosch. Eine Tinktur aus Zitronenmelisse und Anis würde dieser kratzigen und rauen Stimme guttun.
    Oder jemand zum Reden. Auch das würde wirken.
    ***
    Ich frage mich, wo Vater diesmal hingegangen ist. Jemand muss sehr krank sein, weil er so lange von zu Hause fortbleibt. Vater ist kein Arzt, und er ist auch kein »Metzger« (so nennt er die Wundärzte). Aber ob hoch oder niedrig geboren – wenn die Menschen von Northumberland krank werden, schicken sie nach Thomas Luxton. Es geschieht selten genug, dass Vater mir gestattet, zum Markt zu gehen und mich unter die Leute zu mischen – wobei ich meine Kapuze tief ins Gesicht ziehen muss und mit niemandem reden darf, weil er Angst hat, dass man mir die Geheimnisse seiner Arbeit entlocken würde –, aber bei diesen seltenen Gelegenheiten höre ich, was sie sagen:
    »Mit Luxton bist du besser dran als mit diesen hochgelehrten Universitätsprofessoren mit ihren Salben, von denen die Haut Blasen wirft, und ihren Eimern, die sie mit deinem Blut füllen.«
    »Ärzte! Die schneiden dir das Bein ab, bloß weil dir der kleine Zeh weh tut!«
    »Luxton ist ein alter Eigenbrötler, aber wenigstens verbrüht er dich nicht oder blutet dich aus oder legt dir am ganzen Körper Blutegel an. Luxton macht es auf die alte Art, auf die vergessene Art …«
    »… auf Hexenart«
, fügen manche mit furchtsamem Flüsterton hinzu.
    Aber Vater würde die bloße Vorstellung von Hexerei empört von sich weisen. Manche Menschen nennen ihn einen Apotheker, aber er bezeichnet sich selbst gerne als einen Mann der Wissenschaft und als einen einfachen Pflanzer. Damit meint er, dass er all die Pflanzen, die er für seine Medizin braucht, selbst anbaut, hier in den Beeten um das
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