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Herrn Chabres Kur

Herrn Chabres Kur

Titel: Herrn Chabres Kur
Autoren: Emile Zola
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guttun, sich von mir auf dem Rücken tragen zu lassen«, und er neigte sich, um ihr das Aufsteigen zu ermöglichen.
    Aber sie lehnte errötend ab; nein, sie wäre kräftig genug, dem Anprall der Wogen zu widerstehen. Doch er wollte nicht nachgeben, er sei für ihre Gesundheit verantwortlich, behauptete er und bat sie so lange, bis sie nachgab und sich auf seinen Rücken schwang; sie stützte ihre Hände auf seine Schultern, um sich festzuhalten.
    Der Jüngling richtete sich hoch auf, als ob er nur ein Vöglein auf der Achsel trüge, bat sie noch, sich festzuhalten, und durchquerte mit weitausgreifenden Schritten die reißende Flut.
    »Nicht wahr, nach rechts?« klang es wieder jammernd von Herrn Chabres Lippen.
    »Ja, ja, nur immer rechts«, entgegnete Hektor, und sobald Herr Chabre den Rücken gewendet, wagte er es, die schönen Hände, die auf seinen Achseln ruhten, zu küssen. Stella wollte sie zurückziehen, aber er bat sie, sich ruhig zu verhalten, weil er sonst für nichts stehen könne; und dann begann er aufs neue, ihre Hände mit Küssen zu bedecken.
    »Ich bitte, lassen Sie mich«, sagte Stella und tat sehr empört. »Wahrlich, Sie mißbrauchen meine Wehrlosigkeit ... wenn Sie nicht sofort aufhören, springe ich ins Wasser!«
    Er hörte nicht auf, und sie sprang nicht ins Wasser. Er drückte ihre Füßchen heftig an seine Brust und küßte ununterbrochen ihre Hände.
    Von Herrn Chabre war nicht mehr viel zu sehen, das Wasser reichte ihm bis an die Achseln, und es sah aus, als ob ihn die nächste Welle wegspülen müßte.
    »Rechts, nicht wahr?« fragte er.
    »Nein, jetzt links!« rief Hektor.
    Herr Chabre machte einen Schritt nach links und stieß einen Schrei aus, er war bis an den Hals eingesunken und der klassische Knoten seiner Krawatte vollständig ertränkt.
    In diesem Augenblicke flüsterte Hektor: »Ich liebe Sie, gnädige Frau.«
    »Schweigen Sie, ich befehle es Ihnen«, antwortete Stella.
    »Ich liebe, ich vergöttere Sie!« rief er emphatisch, sie aber mußte lachen. Die Liebeserklärung war auch gar zu komisch: Er sah sie nicht an, sondern schaute geradeaus und schritt immerzu, das Wasser reichte ihm nun bis an die Brust.
    »Ich liebe Sie.«
    »Stille«, sagte sie und gab ihm einen leichten Schlag auf die Schulter; das beglückte ihn derart, daß er sogar eine mitleidige Regung für den Mann empfand, der in Verzweiflung stehengeblieben war und sich nicht zu regen wagte.
    »Nur immer geradeaus, Herr Chabre«, sagte er heiter, »es kann Ihnen nichts geschehen.«
    Als sie alle wohlbehalten am Strande angelangt waren, begann Herr Chabre all seine Leiden zum besten zu geben.
    »Ich wäre beinahe ertrunken«, erzählte er ganz erregt, »die Stiefel sind schuld daran –«
    Aber Stella ließ ihn nicht ausreden, sie öffnete ihren Korb und zeigte, daß er bis an den Rand mit Meergarnelen gefüllt war.
    »Nicht möglich«, rief er höchlich erstaunt, »das hast du alles allein gefischt?«
    »Freilich«, entgegnete sie, indem sie Hektor lächelnd anblickte, »ich hatte einen guten Lehrmeister!«
V
    Das Ehepaar Chabre sollte nur noch zwei Tage in Piriac verbleiben. Hektor war außer sich darüber, durfte es sich aber doch nicht merken lassen.
    »Sie können unmöglich von hier fort, ohne die Felsen von Castelli gesehen zu haben, sie sind eine große Sehenswürdigkeit, das Meer hat sie vollständig ausgehöhlt, so daß sie wunderbare Grotten bilden. Sie sind nur einen Kilometer von Piriac entfernt und dehnen sich längs des Meeres etwa eine halbe Meile. Die Gegend ist wildromantisch, und man muß das gesehen haben. Sie sollten morgen den Ausflug unternehmen.«
    »Ja, wenn es so merkwürdig ist, dann müssen wir wohl hin«, sagte Stella, »ist der Weg beschwerlich?«
    »Nicht im geringsten, es sind höchstens zwei oder drei Stellen, wo man sich die Füße etwas netzt, sonst ist es der schönste Weg.«
    Aber Herr Chabre wollte sich nicht einmal die Füße netzen. Seit er beim Garnelenfang ein unfreiwilliges Bad hatte nehmen müssen, hegte er gegen das Meer einen ungeheuren Groll und war daher im vorhinein gegen den Ausflug eingenommen; es hätte gar keinen Sinn, meinte er, das Leben wieder aufs Spiel zu setzen oder Gefahr zu laufen, beim Felsenklettern sich die Beine zu brechen. Wenn es aber durchaus sein müsse – und das wäre schon Opfers genug –, würde er sie von oben, auf der Küste, begleiten. Hektor wußte ihn zu besänftigen.
    »Der Wächter beim Semaphor von Castelli hat immer eine Menge
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