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Abschalten: Die Business Class macht Ferien (German Edition)

Abschalten: Die Business Class macht Ferien (German Edition)

Titel: Abschalten: Die Business Class macht Ferien (German Edition)
Autoren: Martin Suter
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Glaser lässt abschalten
     
    Als Glaser dreißig war, galt es in Kreisen des mittleren Jungmanagements als unmännlich, mehr als fünf Stunden zu schlafen. In der Euphorie eines anständigen Schlafmankos wirkte alles, was man tat, viel effizienter. Stress war ein Stimulans. Man prahlte, wie viel man davon vertrug, und versuchte, sich gegenseitig unter den Tisch zu stressen.
    Später, auf der oberen Führungsebene, war Stress zwar nicht mehr Modedroge Nummer eins, aber immer noch gesellschaftsfähig. Wer nicht unter Stress stand, wirkte halt doch irgendwie ersetzlich. Man konnte unter Männern über Stress reden wie über sonst ein Laster, und der andere wusste genau, wovon man sprach.
    Aber heute, wo es Glaser in die Führungsspitze geschafft hat, gilt Stress, offen zur Schau getragen oder vertraulich eingestanden, als uncool. Manager, die unter Stress leiden, sind ihrer Aufgabe nicht gewachsen. Glaser wird also zum heimlichen Stresser. Er wacht zwar immer noch um vier Uhr auf und grübelt darüber nach, worüber er bis sieben Uhr nachgrübeln könnte. Aber er stellt sich jetzt schlafend dabei. Es schnürt ihm immer noch den Brustkorb ein, wenn er zur Agenda greift. Aber er greift jetzt verstohlen zu ihr, wie ein Trinker zum Flachmann. Und er reißt sich immer noch die Brille vom Gesicht, um mit beiden Handballen wütend die Augen zu reiben. Aber er tut das jetzt heimlich zwischen Sitzungen.
    Doch während der offen zelebrierte Stress inspirierend und der freimütig eingestandene immerhin noch stimulierend waren, fängt der heimliche an, ihm auf die Gesundheit zu schlagen. Glaser leidet neuerdings unter Anfällen von Herzklemmen, Sodbrennen und Nachtschweiß.
    Eine Weile schaut er dem zu. Dann beschließt er, sich den Stress abzugewöhnen.
    Stress, sagt sich Glaser, ist ja nur die Unfähigkeit abzuschalten. Und Unfähigkeiten jeder Art sind für Glaser, wenn überhaupt, vorübergehende Erscheinungen. Er nimmt sich also vor, in Zukunft beim Verlassen des Büros abzuschalten.
    Aber er findet den Schalter nicht.
    Glaser sitzt am Sonntag mit seiner verwunderten Familie scheinbar entspannt beim Brunch und hat einen Klumpen aus Terminen und Pendenzen im Magen.
    Oder er sitzt prustend in der Sauna und ertappt sich dabei, wie er seinen nackten Oberkörper nach einem Kugelschreiber abklopft.
    Schließlich gesteht er sich ein, dass ihn das Abschaltenwollen mehr stresst, als es das Nichtabschaltenkönnen je vermocht hatte. Und Glaser tut, was er immer tut in den seltenen Fällen, in denen er zugibt, dass er etwas nicht selber kann: Er delegiert.
    Er lässt sich bei seinem Arzt, einem Geheimtipp unter Führungskräften, einen Termin während einer Randstunde geben und zieht ihn ins Vertrauen. Der hört sich Glaser eine Weile an, schielt ab und zu auf die Uhr und sagt dann: » IMAP . Eine Spritze pro Woche, und nach vier Wochen bist du entkoppelt. Und wenn der Stress wiederkommt, wiederholst du die Kur.«
    Glaser lässt sich also abschalten. Bereits nach der ersten Behandlung fühlt er sich, als hätte man seine Seele eingeölt. Nichts kommt an ihn heran, alles perlt ab wie Seewasser vom Gefieder der Zwergtaucherli.
    Nach vier Wochen ist Glaser entkoppelt. Zwar ist er nach wie vor gestresst. Aber jetzt ist es ihm wurst.

Burn-out

Männer unter Stress: Perrig
     
    Ehrlich gesagt: Perrig braucht den Stress. Ohne Stress fehlt ihm das Gefühl zu arbeiten. Oder die Leistung zu erbringen, die er sich abverlangt: Höchstleistung. Wenn Perrig nicht immer, wenn er sich mit einer Sache befasst, in Gedanken schon bei der nächsten ist, fehlt ihm der Druck, der ihn zur richtigen Entscheidung treibt. Je enger die Räume, je rarer die Alternativen, desto zwingender die Entscheidung. Einer, der immer vorneweg entscheiden muss, hält sich nicht mit Prioritäten auf.
    Aber dass Perrig den Stress braucht, bedeutet nicht, dass er nicht unter ihm leidet. Im Gegenteil: Perrig leidet ganz schrecklich unter seinem Stress. Und mit ihm die ganze Abteilung. Wenn er als Letzter ins Büro kommt, noch Rasierschaum an den Ohrläppchen und einen Bissen Grahambrot im Mund, lässt er es die ganze Abteilung spüren, dass sie schon hier ist. Leute, die pünktlich bei der Arbeit sind, sind nicht ausgelastet. Es gibt eine höhere Form der Pflichterfüllung als die pünktliche: die aufopfernde. Die, die nicht unterscheidet zwischen Tag und Nacht, Geschäft und Privat, Bürozeiten und Überstunden. Wenn Perrig ins Büro kommt, verlegt er lediglich den Schauplatz
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