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Herrn Chabres Kur

Herrn Chabres Kur

Titel: Herrn Chabres Kur
Autoren: Emile Zola
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dunkelgrünen Fettpflanzen von den grauen Wänden der Klippen hübsch abhoben, und interessierte sich besonders für die Meervögel, die sie greifbar nah umflatterten und dabei einen eigentümlichen rhythmischen Laut von sich gaben. Was sie aber am meisten entzückte, war, von dieser Steinwelt aus immer wieder die blaue Linie des Meeres zu erblicken, das bei jeder Biegung des Weges deutlicher wurde, sich in stiller Majestät ins Grenzenlose dehnte.
    »Ah, da seid ihr ja!« tönte Herrn Chabres Stimme von der Küste herab, »ich hatte euch aus den Augen verloren und war besorgt. – Aber der Abgrund hier ist gräßlich, nicht?«
    Er stand wohlweislich mindestens sechs Schritt vom Rande entfernt unter seinem aufgespannten Schirm, mit dem leeren Korb am Arme. Er sah aufs Meer hinaus und rief: »Es steigt gehörig, nehmt euch in acht!«
    »Seien Sie außer Sorge«, rief Rektor zurück, »wir haben Zeit!«
    Stella hatte sich niedergelassen. Bewundernd, unfähig ein Wort hervorzubringen, schaute sie ins Unermeßliche. Hinter ihr erhoben sich Granitpfeiler, die wie Riesensäulen eines verfallenen Tempels aussahen; vor ihr lag das tiefblaue strahlende Meer, und in weiter, weiter Ferne, winzig wie ein Möwenflügel, leuchtete schneeig ein Segel. Der Himmel spannte sich hell und heiter, aber das sachte verschwimmende Licht kündete baldige Dämmerung.
    Stella konnte sich von dem herrlichen Bilde nicht loslösen, ihr war, sie wußte nicht wie, so weich, so sehnsuchtsvoll!
    »Kommen Sie«, sagte Hektor leise, indem er ihre Hand faßte.
    Sie erbebte und erhob sich langsam.
    »Nicht wahr, das Häuschen dort mit dem Maste ist der Semaphor?« tönte wieder Herrn Chabres Stimme herab. »Ich gehe meine Muscheln kaufen und hole euch wieder ein.«
    Über Stella war eine eigentümliche Mattigkeit und Schlaffheit gekommen; um sie abzuschütteln, begann sie wie ein Kind zu laufen, sie sprang über alle Wasserlachen und kletterte mühselig auf einen Haufen übereinandergeschichteter Felsblöcke, der bei steigender Flut wohl wie eine Insel auf dem Wasser herausragte. Und oben stand sie, erfreut, von dieser Höhe aus mit dem Blicke das ganze weite Gebiet zu umfassen. Sie stand hochaufgerichtet, und ihre feine Gestalt hob sich in der wunderbar klaren Luft ungemein deutlich und anmutig ab.
    Als sie wieder herabgeklettert war, hüpfte sie weiter von Stein zu Stein, guckte neugierig in alle Höhlen und neigte sich über die zahlreichen kleinen Teiche und Tümpel, deren klares Wasser den Himmel widerspiegelte. Tief drunten im Grunde bildeten hohe smaragdgrüne Gräser phantastische Wälder, in denen schwarze Krabben wie Frösche hüpften, ohne das Wasser zu trüben. Und träumerisch schaute die schöne junge Frau in die Tiefe, als suchte ihr Blick nach einem Märchenlande, einem Aufenthalt für Selige.
    Als sie wieder an den Fuß der Küste zurückgekehrt waren, sah Stella, daß ihr Gefährte in sein Taschentuch ein ganzes Bündel Arapeden gesammelt hatte.
    »Für Herrn Chabre«, sagte er, »ich will sie ihm hinaufbringen.«
    Eben kehrte Herr Chabre von seinem Gang zurück.
    »Auch nicht eine einzige Muschel haben sie im Semaphor«, klagte er, »ich habe es gleich gesagt, daß es ein Unsinn wäre, herzukommen, und ich hatte recht.«
    Als ihm aber Hektor von weitem das Bündel mit den Arapeden zeigte, beruhigte er sich und staunte über die Gewandtheit, mit welcher der Jüngling an den Felsen, die glatt wie eine Mauer schienen, empor und wieder hinabkletterte.
    »Oh, das will gar nichts bedeuten«, entgegnete Hektor lachend, als ihm Herr Chabre seine Verwunderung ausdrückte, »es ist die reinste Stiege, nur muß man wissen, wo die Staffeln sind.«
    Herr Chabre wünschte nun den Rückweg anzutreten, er fand das Meer beunruhigend und beschwor seine Frau, heraufzukommen, wenigstens einen bequemen Weg zu suchen. Aber Hektor entgegnete lachend, daß es auf die Küste hinauf keinen Weg für Damen gäbe und daß sie übrigens noch nicht die Hauptsache, die Grotten, derentwegen sie gekommen seien, gesehen hätten. So blieb denn Herrn Chabre nichts übrig, als ihnen oben längs des Kammes zu folgen; als die Sonne unterging, schloß er seinen Schirm und benutzte ihn als Stock, in der andern Hand trug er seinen Korb mit den Arapeden.
    »Sind Sie müde?« fragte Hektor seine schöne Gefährtin.
    »Ja, ein wenig«, antwortete sie und nahm seinen ihr angebotenen Arm. Nicht, daß sie wirklich müde gewesen wäre, aber sie fühlte ein süßes Bedürfnis, sich
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