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Finnisches Roulette

Finnisches Roulette

Titel: Finnisches Roulette
Autoren: Taavi Soininvaara
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FREITAG
    Der Tag vor dem Mittsommerwochenende
    1
    Sami Rossi wartete im Erdgeschoß des Einkaufszentrums »Forum« ungeduldig auf den Lift, der ihn in die Hölle bringen würde. In dem Shoppingparadies mitten im Zentrum Helsinkis wimmelte es von Menschen, die es eilig hatten. Auch vor dem Mittsommertag erledigten viele ihre Einkäufe erst in letzter Minute. Es war halb eins, in Kürze würde das »Forum« schließen.
    Die brütende Hitze des Tages war auch in dem Gebäude zu spüren: Obwohl die Klimaanlage auf Hochtouren arbeitete, fühlte man die hohe Luftfeuchtigkeit auf der Haut. Aus den Fastfood-Restaurants im Foyer stieg Rossi der Gestank ranzigen Fetts in die Nase, und ihm wurde fast übel, als er einen Polizisten erblickte, der einen Kebab von der Größe eines mit Fisch gefüllten Brotlaibs gierig in sich hineinstopfte, so daß die Soße aus seinen Mundwinkeln rann.
    Rossis Mittsommerfeier hatte sich auf den am Vorabend mit Klasu geleerten Kasten Bier und den traditionellen Videomarathon beschränkt, bei dem sie sich diesmal den »Paten« angesehen hatten. Am Unabhängigkeitstag im Dezember würden sie sich gemeinsam alle Teile des »Unbekannten Soldaten« anschauen, zu Weihnachten »Dirty Harry« und zu Ostern »Das Schweigen der Lämmer«. Es sei denn, Laura bevorzugte künftig ein Feiertagsprogramm mit mehr Tradition.
    Der Aufzug kam immer noch nicht. In das »Alko«-Geschäft nebenan strömten die Menschen, als befände sichdort eine Heilquelle. 1 Rossi schreckte aus seinen Gedanken auf, als er den Blick einer Frau in einem engen pinkfarbenen Top auffing. Er deutete ein freundliches Lächeln an und erhielt als Antwort ein Grinsen – der Versuch eines Flirts. Rasch strich er sich eine blonde Haarsträhne aus der Stirn und warf einen Blick auf sein Spiegelbild im Schaufenster. Sein Körper wirkte durchtrainiert, obwohl er zwei Wochen lang keine Zeit für das Fitneßstudio gehabt hatte. Das enganliegende, langärmlige Baumwollhemd betonte die Muskeln ebenso wie die gutsitzenden Jeans. Er sah aus wie Muhammed Ali vor dem »Rumble in the Jungle« gegen George Foreman in Zaire. 1974 war der Champion genauso alt gewesen wie er jetzt – zweiunddreißig Jahre. Allerdings hatte Rossi aufgehört zu boxen, das war das einzige in seinem Leben, was er wirklich bereute. Nicht wenige seiner Bekannten waren freilich der Auffassung, sein ganzes Leben gleiche einem Lexikon der Mißerfolge. Zum Glück hatte wenigstens Laura Verständnis für ihn, die Meinung der anderen war ihm nicht so wichtig.
    Rossi drückte mindestens schon zum zwanzigstenmal auf den Fahrstuhlknopf und wurde allmählich wütend. Seine letzten Urlaubstage und das Mittsommerwochenende mußte er in der Stadt verbringen, etwas Trostloseres konnte man sich kaum vorstellen. Aber seine Frau wollte schnell mit der Renovierung fertig werden. Selbst ein Esel ließ sich leichter überreden als Laura. Sie hatte auch die Entscheidung über den Kauf der Dreizimmerwohnung in der Lönnrotinkatu getroffen, obwohl der Preis so hoch war, daß er die Wolken berührte. Und die Bürde des Bankkredits würden sie erst kurz vor ihrem Begräbnis loswerden. Laura hatte seine zwei Urlaubswochen den Tapeten, Pinseln und dem Terpentingestank geopfert. Für sie war es natürlichleicht, Urlaubspläne zu schmieden, als Lehrerin hatte sie ja lange genug Sommerferien, dachte Rossi neidvoll und wunderte sich einmal mehr, warum Lauras Zielstrebigkeit ihn so anzog.
    Seine Gedankengänge wurden von einem schrillen Aufschrei unterbrochen. Eine junge Frau kniete sich mühevoll nieder, um ihre Einkäufe aufzusammeln, die aus der zerrissenen Papiertüte herausgefallen waren. Ihr unübersehbarer vorgewölbter Bauch verriet, daß sich die Schwangerschaft dem Ende näherte. Die Kante eines Fruchtsaftkartons hatte den Deckel eines Joghurtbechers getroffen, auf dem Fußboden bildete sich eine rosafarbene Pfütze, und die Schwangere brach in Tränen aus. Ein Pudel auf dem Arm einer Dame mit Hut war der einzige, der die Unordnung gern beseitigt hätte.
    Rossi wollte der jungen Frau gerade zu Hilfe eilen, als ihr ein elegant gekleideter Mann hoch half. Während er die Gläschen mit Kindernahrung aufhob, redete er fließend Englisch. Die Frau setzte sich vorsichtig auf einen wackligen Plastikstuhl des Kebab-Restaurants, um zu verschnaufen.
    Rossi vermutete, daß es sich bei dem hilfreichen Ritter um einen Geschäftsmann handelte; aus seinem Ohr hing das Knopfhörerkabel eines Mobiltelefons. Ob der Typ
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