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Die Nacht gehört dem Drachen (German Edition)

Die Nacht gehört dem Drachen (German Edition)

Titel: Die Nacht gehört dem Drachen (German Edition)
Autoren: Alexia Casale
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    Ich steige auf, zur Oberfläche.
    Durch Samtblau zu Dämmergrau.
    Zum Licht.
    Auf einmal Geräusche. Leise Echos, die im Wasser nachhallen.
    Aber ich will noch bleiben. Hier, in den Schatten treibend, fühle ich mich geborgen. Der Schmerz ist weit weg, ist ein Teil des Lichts, der Wärme, der Luft.
    Ich rudere mit den Händen, versuche vergeblich, das Wasser zu greifen: versuche, unten zu bleiben. Es entgleitet mir, strömt seidig zwischen meinen Fingern durch. Und ich steige weiter auf.
    Dann schwebe ich dicht unter der Oberfläche, schaue zum Licht auf. Über mir erscheint das Gesicht einer Frau, breit und verzerrt und gerötet von einer Hitze, die ich hier, in den kühlen Schatten des Wassers, nicht spüren kann. Der Mund öffnet sich, und dumpfe, unverständliche Wörter lassen die Wasseroberfläche erzittern.
    Ich muss Luft holen, tauche auf. Ich spüre, wie eine Träne im Bogen über meine Wange kullert. Geräusche hallen in meiner Kehle. Ich greife ungelenk nach dem Handgelenk der Frau, es ist dick und warm. Ein zweites Gesicht erscheint, blickt auf mich hinab, beugt sich über mich. Finger umschließen meine Hand. Tätscheln sie. Ich greife fieberhaft nach der Hand, finde Halt, dann stoße ich mich ab.
    Ich versinke wieder im Wasser.
    Die Welt verschwindet.
    Die Schatten sind ruhig, ganz ruhig. Die Dunkelheit lockt mich immer tiefer.
    »Evie?«
    Amys Stimme. Weich und warm wie die Daunendecke, wie das Bett.
    Amy, nicht Fiona.
    Ein Seufzer. Mein eigener. Der beißende, brennende Geruch von Chemikalien liegt in der Luft. Meine Füße stoßen gegen die Decke, und ich spüre den kühlen Bezug auf den Beinen. Meine Hände hören auf zu krampfen, lassen den Baumwollstoff los.
    »Evie, mein Liebes?«
    Ich drehe mich zu der Stimme um, zu den Fingern, die mir die Haare behutsam aus der Stirn streichen. Amy.
    Wenn ich die Augen öffne, wird da Amy sein, nicht Fiona. Kein ausdrucksloses Gesicht, keine kalten Augen, sondern Liebe und Trost. Geborgenheit.
    Meine Lippen sind trocken, meine Zunge ist geschwollen und schwer. Wenn ich schlucke, spüre ich dies im ganzen Körper. Ich werde mir meiner Kehle bewusst, meiner tief ins Kissen gedrückten Schultern, meines auf der Matratze liegenden Rückens. Meine Finger zucken. Ein dumpfer Schmerz kriecht über Rippen und Rückgrat bis in den Brustkorb, lässt meinen Atem stocken …
    »Ich glaube, sie hat Schmerzen, Paul …«
    »Ich hole eine Krankenschwester.«
    Ich schlage die Augen auf.
    »Evie, mein Liebes.« Amy lächelt mich sowohl erleichtert und zärtlich als auch besorgt an – so, wie einen die eigenen Eltern, die eigene Mutter anlächeln sollte. Amy, nicht Fiona. Sie tastet nach meiner Hand, drückt sie. »Wie geht es dir? Hast du Schmerzen?«
    Ich seufze wieder. Und wieder stockt mir der Atem. Der Schmerz schießt aus der Brust nach oben, klärt schlagartig meinen Blick. Ich will mich zu Amy umdrehen, aber meine Arme und Beine sind bleischwer. Ich träume offenbar noch, denn meine Gedanken nehmen erst mit Verspätung Gestalt an, schweifen rasch wieder ab. Sonderbar, dass meine Augen mit dem Denken nicht mithalten – ich stelle verwundert fest, dass ich erst erkenne, was ich sehe, wenn mein Blick schon wieder auf etwas anderem ruht. Mein Bewusstsein arbeitet wie in Zeitlupe, registriert Sinneswahrnehmungen, ohne diese deuten zu können. Ich kann mit mir selbst nicht mehr Schritt halten.
    »Dr. Barstow sagt, es ist alles gut gegangen. Du wirst wieder ganz gesund, mein Liebes«, sagt Amy, und ihre Stirn furcht sich mitfühlend, die Falten fächern sich wie Pfeile über der Nasenwurzel auf.
    Ich blinzele, aber sogar das nur langsam – die Lider senken und heben sich. Das Zimmer schwingt hin und her wie ein Pendel, kommt wieder zur Ruhe.
    Ich schlucke noch einmal, schmecke die Luft.
    Die Tür geht auf, bevor ich meine Gedanken sammeln kann – das Krankenzimmer betreffend, meinen trockenen Mund, die nachhallende Erinnerung an ein früheres Erwachen.
    »Hallo, Evie.« Dr. Barstow ist freundlich und direkt, hat scharf geschnittene Gesichtszüge. Nicht das schreckliche Mitgefühl, das die Krankenschwester an den Tag legte, als sie mir kurz vor der Operation sowohl ein Betäubungsmittel als auch so viel Mitleid verabreichte, dass ich darin hätte ertrinken können.
    Mein Blick gleitet zu der Bordüre mit den Teddybären, zu den bunten Luftballons auf den Vorhängen. Die Empörung, die mich erfüllte, als die Krankenschwester uns in dieses Zimmer führte, kocht
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