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Das Blut der Lilie

Titel: Das Blut der Lilie
Autoren: Jennifer Donnelly
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    Wer’s kann, der kann’s.
    Wer’s nicht kann, legt Platten auf.
    Wie Cooper van Epp. Er steht in seinem Zimmer – das den
gesamten fünften Stock eines schönen alten Hauses in der Hicks Street einnimmt
– und versucht, die Beats von John Lee Hooker an irgendeinen Hip-Hop-Horror
anzugleichen. Er hat Equipment für zwanzigtausend Dollar, aber keinen Schimmer,
wie man es benutzt.
    Â»Das ist der Blues, Mann«, kräht er. »Das ist Memphis-Stil.«
Er hält inne, um sich den zweiten Scotch an diesem Morgen
einzugießen. »Das ist früher und heute zusammen. Brooklyn und Bale Street
gleichzeitig. Kents rauchen und zum Frühstück Bourbon trinken. Das alles fehlt
uns jetzt. Alles, was wir brauchen …«
    Â»â€¦ ist Hunger, Krankheit und keine Aussicht nach oben zu
kommen«, sage ich.
    Cooper schiebt seinen Filzhut zurück und lacht wiehernd. Er
trägt ein Muskelshirt und eine alte Anzugweste. Er ist siebzehn, weiß wie
Schnee, stinkreich, und versucht, wie ein Blues-Man aus dem Mississippi-Delta
auszusehen. Was ziemlich daneben geht. Er sieht eher aus wie Ed Norton aus der
Fünfziger-Jahre-Comedyshow Honeymooners .
    Â»Armut, Coop«, füge ich hinzu. »Die brauchst du. Das ist der
Ursprung des Blues. Aber das wird schwierig für dich. Ich meine, du als Sohn
eines Top-Bankers und so.«
    Sein blödes Grinsen verblasst. »Mann, Andi, wieso machst du
mich immer so an? Warum bist du immer so …«
    Simone Canovas, die Tochter eines Diplomaten, unterbricht
ihn. »Ach, lass gut sein, Cooper. Du weißt, warum.«
    Â»Wir alle wissen das. Es wird langsam langweilig«, sagt Arden
Tode, Kind eines Filmstars.
    Â»Und noch was«, sage ich, ohne auf sie einzugehen, »Talent.
Du brauchst Talent. Weil John Lee Hooker ganze Wagenladungen davon hatte.
Schreibst du überhaupt Musik, Coop? Spielst du selber welche? Oder stöpselst du
bloß das Zeug von anderen Leuten zusammen und reklamierst den Mist, der dabei
rauskommt, als eigenes Werk?«
    Coopers Blick wird eisig. Sein Mund zuckt. »Du bist wirklich
ätzend. Weißt du das?«
    Â»Weiß ich.«
    Das bin ich. Ganz zweifellos. Es gefällt mir, Cooper zu
demütigen. Ich würge ihm gern eins rein. Es fühlt sich gut an. Besser als der
Whiskey seines Dads, besser als das Gras seiner Mom. Weil ein paar Sekunden
lang auch ein anderer leidet. Ein paar Sekunden lang bin ich nicht allein.
    Ich nehme meine Gitarre und spiele die ersten Akkorde von
Hookers Boom Boom .
Schlecht, aber es funktioniert. Cooper flucht und stürmt hinaus.
    Simone funkelt mich böse an. »Das war gemein, Andi. Er hat
doch so eine empfindsame Seele«, sagt sie und rennt ihm nach. Arden hinter ihr
her.
    Simone schert sich einen Dreck um Cooper oder seine Seele.
Sie sorgt sich bloß, er könnte unsere freitagmorgendliche Frühstücksparty
kippen. Sie geht nie in die Schule ohne Dröhnung. Keiner tut das. Wir alle
brauchen was, irgendein drogengesättigtes Kraftfeld, um die harte Hand der
Erwartung abzuwehren, die uns wie Bierdosen zu zerquetschen droht, sobald wir
einen Fuß an diesen Ort setzen.
    Ich höre mit Boom Boom auf und gleite langsam zu Tupelo über . Keiner
schenkt mir die geringste Beachtung. Weder Coopers Eltern, die in Cabo in den
Ferien sind, noch das Dienstmädchen, das rumrennt und die Fenster aufreißt, um
den Rauch abziehen zu lassen. Auch meine Klassenkameraden nicht, die iPods
tauschen und sich einen Song nach dem anderen reinziehen. Wir laden keine Hits
aus den Charts runter. Dafür sind wir uns zu schade. Solche Songs sind für Kids
in der staatlichen Schule. Aber egal. Wir sind auf der St. Anselm, der
angesehensten Privatschule von Brooklyn. Wir sind was Besonderes. Was
Außergewöhnliches. Wir sind wie eine Supernova, jeder Einzelne von uns. Das
sagen jedenfalls unsere Lehrer, und das kriegen unsere Eltern eingebleut, die
30000 Dollar im Jahr dafür zahlen.
    In diesem Jahr, unserem letzten, geht’s um den Blues. Und um
William Burroughs, Balkan Soul, deutsche Counter-Tenöre, japanische Girlbands
und New Wave. Diese Mischung ist wohl überlegt. Wie alles andere, was wir tun.
Je abwegiger unsere Interessen, desto mehr zeugen sie von unserem Genie.
    Während ich hier sitze und Tupelo klimpere, schnappe ich
ein paar Gesprächsfetzen auf.
    Â»Also wirklich, man kann sich A Flock Of Seagullsnicht mal
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