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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Ingenieur verlobt, der in acht Wochen als Berater einer mikrotechnischen Fabrik nach Berlin versetzt wird. Plötzliche große Liebe. Brief folgt. Marko.«
    Pjetkin rannte herum wie ein Betrunkener. Zum erstenmal war er unkonzentriert, verlangte bei einer Operation ein falsches Instrument. Prof. Limbach rückte beim Waschen nach dem Operationstag nahe an ihn heran. »Was haben Sie, Herr Kramer?« fragte er.
    »Ich werde wahnsinnig, Herr Professor.« Pjetkins Gesicht war bleich und eingefallen, in wenigen Tagen wie verhungert. »Dunja wird spätestens in acht Wochen in Ost-Berlin sein. Noch weiß ich nichts Genaueres, aber die Nachricht ist zuverlässig.«
    »Wollen Sie sie über die Mauer rüberholen?«
    Unter der Mauer, dachte Pjetkin. Unter … aber ich darf es Ihnen nicht sagen, Herr Professor.
    »Wir werden beide an glückliche Zufälle glauben und darauf warten«, antwortete er stockend. »Stellen Sie sich vor … sie kommt an die Mauer, und ich stehe auf der anderen Seite, wir sehen uns, winken uns zu, schreien unsere Namen …«
    »Die kalte Wut wird Sie packen, mein Lieber. Dieses Gefühl der Ohnmacht vor einer absoluten Willkür wird Sie so übermannen, daß Sie keinen klaren Gedanken mehr fassen können. Davon lebt diese Mauer, davon lebt diese Politik … ein immer währender Streß, bis man die Nerven verliert. Dann wird der Schuldige immer der andere sein … denn die da drüben haben ja nichts getan. Nur eine Mauer haben sie gebaut. Darf man denn keine Mauer bauen? Mein lieber Pjetkin – ich nenne Sie jetzt bewußt mit Ihrem russischen Namen – für uns Deutsche ist alles, was aus dem Osten herüberweht, unheimlich. Rußland ist das Trauma der Deutschen, wie Deutschland das Trauma der Franzosen ist. Da ändert sich nichts … keine Händedruck, keine Verträge, keine Umarmung, kein Halli-hallo … Wo einmal der Irrsinn im Gehirn sitzt, kann man ihn nicht mehr wegnehmen … weder mit Streicheln, noch mit dem Messer. Wenn wir die Politik medizinisch betrachten, ist die Welt paralytisch. Kennen Sie ein Heilmittel gegen Paralyse?«
    »Nein.«
    »Und da hoffen Sie noch?« Prof. Limbach trocknete seine Hände ab. »Wollen Sie Urlaub, Herr Kramer?«
    »Nein, Herr Professor. Vielleicht in acht Wochen …«
    »Wir reden noch darüber. Jetzt gehen Sie erst einmal ins Kasino und trinken einen Kognak –«
    Der Brief, den Marko angekündigt hatte, traf drei Tage später ein. Auch er kam aus Lappeenranta und war dick, zehn Seiten voll mit Markos großer Schrift.
    »Es war ein plötzlicher Gedanke«, schrieb Marko unter anderem, »ein Blitz, der einen mittendurch schneidet, Du kennst es, Söhnchen. Ich habe es gewagt, als Herr Nappalainen aus Helsinki in Leningrad anzurufen. Lange hat's gedauert, bis das blonde Täubchen an den Apparat kam, und ich wußte, daß sie jetzt mithören, denn was hat Dunja Dimitrowna mit Finnland zu tun? Und also sage ich zu ihr: ›Gott zum Gruße, Töchterchen, ich soll Ihnen Wohlergehen und einen Kuß auf die Wange von Ihrem entfernten Onkel Wanja geben. Ich traf ihn in Helsinki bei bester Gesundheit. Er war ganz erstaunt, daß Sie sich verloben wollen und übermittelt Ihnen seine tiefempfundenen verwandtschaftlichen Wünsche. Stimmt es, daß Sie nach Ost-Berlin reisen werden? Mit Ihrem Bräutigam? In acht Wochen? Was, ein Irrtum ist das? Da sieht man wieder, wie Gerüchte sich verbreiten, schneller als Mundgeruch.‹ So ging es eine Weile weiter, und Dunja, das kluge Köpfchen, begriff es sofort. Ich gab ihr meine neue Adresse und wartete. Söhnchen – die Weiber haben den Teufel zum Paten: Noch keine Woche dauerte es, da schreibt sie mir als ein glückliches Bräutchen. Im Krankenhaus hat sie ihn kennengelernt, seine Schwester hat er besucht, der man ein Stück Darm weggeschnitten hat, und da stehen sie sich am Bett gegenüber, sehen sich an, der anscheinend gepflegte Mensch, der sich Pawel Urbanowitsch Schulkow nennt, erzählt, daß er Ingenieur sei und die Gesundung seiner Schwester leider nicht länger miterleben könne, denn er müsse in Kürze nach Ost-Berlin … Igorenka, was sagt man dazu: Es war Liebe auf den ersten Blick. Beim zweiten Blick wurde es dann konkreter. Dunja, das Teufelchen, stellte Bedingungen, und der blinde, verliebte Mensch – man sollte ihn bedauern, er meint es ehrlich – wollte die Welt umarmen und rannte sofort von Dienststelle zu Dienststelle und brüllte, erregt wie alle Verliebten, denen das Bett winkt: ›Ich gehe nach Ost-Berlin nur mit Dunja!
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