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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Ost-Berlin zu bringen. Und Mut muß sie haben –«
    »Ein Tunnel … mein Gott, ein Tunnel unter der Mauer.« Pjetkin wischte sich über die Augen. Das ist es … ein Tunnel! Unter der Grenze hindurch, wie eine Wühlmaus in die Freiheit! Mut? Wer redet hier von Mut? Habt ihr Sibirien erlebt, kennt ihr Workuta? Wir haben den Mut eingeatmet in der Taiga … er hängt dort wie Beeren an den Sträuchern.
    »Wenn die Sache schiefgehen sollte, können alle ihr letztes Amen singen. Die drüben kennen kein Erbarmen bei Republikflucht.«
    Heiner Stapelhorst tippte Pjetkin gegen die Brust. Pjetkin zuckte zusammen – er kam aus einer anderen Welt zurück. »Haben Sie vielleicht eine Ahnung, wie Sie Dunja nach Berlin bringen können?«
    »Noch nicht. Wir sprechen noch darüber, Stapelhorst«, sagte Pjetkin tonlos. Die Erregung würgte seine Stimme ab. Ein Tunnel! Ein Tunnel! »Ich … ich danke Ihnen für Ihr großes Vertrauen. In acht Wochen, sagen Sie?«
    »Spätestens. Meine Freunde arbeiten auch ohne mich weiter. Wann kann ich denn wieder raus?«
    »In zehn Tagen.«
    »Nicht früher?«
    »Ich werde Sie so früh, wie ich verantworten kann, wieder entlassen …«
    Pjetkin verließ mit unsicheren Schritten das Zimmer. Auf dem Gang mit der trüben Nachtbeleuchtung lehnte er sich an die Wand und starrte auf die Leuchttafel der Station. Zimmer 10 klingelt … dort liegt ein Schädelbruch.
    Zimmer 14 … der Mann mit der Oberschenkelfraktur. Zimmer 23 … Frau Hasselmann mit dem eingedrückten Brustkorb.
    Die Nachtschwester war schon unterwegs, er hörte ihre Stimme aus einem Zimmer, dessen Tür nur angelehnt war. Acht Wochen … das ist ein Zeitbegriff wie ein Wimpernschlag. Acht Wochen nur … dann ist die einzige, die größte Chance vertan.
    Pjetkin begann zu zittern. Keine Panik, dachte er. Laß dich nicht niederschlagen durch die Zeitnot. Wie spät ist es? Zwei Uhr morgens? Marko, steh auf. Die Stunden zerrinnen uns sonst unter den Händen. Jetzt mußt du einen Weg finden … wir bauen hier einen Tunnel, bring du Dunja nach Ost-Berlin …
    Von seinem Stationszimmer meldete er das Ferngespräch nach Helsinki an. Es dauerte eine Stunde, bis das Telefon wieder schellte, eine Stunde, in der Pjetkin die Minuten verfluchte, die auf der Uhr wegtickten.
    »Bist du verrückt, Söhnchen?« sagte Marko so klar, als stände er vor Pjetkin. »Ich liege in einem Sarg für 1.500 Finnmark und träume von einem Sonnenblumenfeld, da klingelt es. Was ist das, denke ich, fahre aus den Kissen und suche die Hinterbliebenen, die es so eilig haben, das Väterchen einzusargen. Aber niemand steht vor der Tür, und es klingelt noch immer. Wer denkt an das Telefon. Ich renne ins Büro, stoße mich an drei Sargecken, werfe zwei Kerzenleuchter um … und wer ist dran? Du! Hast du Langeweile, Igorenka?«
    »Dunja muß sofort nach Ost-Berlin«, rief Pjetkin. »Sofort.«
    »Warum nicht nach Rio de Janeiro? Bist du besoffen?«
    »Wir bauen einen Tunnel unter die Mauer. Wir holen Dunja herüber. Nur muß sie in Ost-Berlin sein. In spätestens acht Wochen.«
    »Es gab einmal eine arme, auch im Kopf ziemlich leere Bauersfrau, die holte Lehm ins Haus, knetete ihn und backte daraus ein Brot. Sie aß es sogar, es schmeckte ihr, aber als sie scheißen wollte, war ihr Darm wie betoniert. Willst du mich zu dieser Bauersfrau machen, Söhnchen?«
    »Acht Wochen, Marko!« schrie Pjetkin. »Die Zeit ist nicht mehr für, sondern gegen uns! Du mußt eine Idee haben, Marko!«
    Eine Woche hörte Pjetkin nichts von Marko. Er rief dreimal in Helsinki an … Vaiiko Halunääin war immer am Apparat und berichtete in einem harten Deutsch, daß Herr Godunow leider ans Meer gefahren sei. Leider für das Geschäft ›Pietät‹ … keiner konnte so tröstende Worte finden wie Herr Godunow, und im Leichenschminken war er ein Meister.
    Pjetkin entließ Heiner Stapelhorst vorzeitig, noch mit den Verbänden um die sich schließenden Wunden. »Ich gebe Ihnen rechtzeitig Bescheid, Doktor«, sagte Stapelhorst, als er sich verabschiedete. »Was hören Sie aus Helsinki?«
    »Nichts. Gar nichts. Ich muß meinen Kopf in kaltes Wasser tauchen, damit er mir nicht zerplatzt.«
    Nach einer Woche meldete sich Marko. Nicht aus Helsinki, sondern aus Lappeenranta, nahe der sowjetischen Grenze, kam ein Telegramm, das Pjetkin auf sein Bett warf, und wer es liest, kann das verstehen:
    »Übersiedlung nach Ost-Berlin erst in acht Wochen möglich. Dunja hat sich auf meinen Rat in Leningrad mit einem
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