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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind
Autoren: Heinz G. Konsalik
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plötzlich, daß einem der Atem stockte. Und wieder das ferne Scharren im Tunnel.
    »Da sind sie schon …«, sagte der Mann, den die anderen Männi nannten. »Doktor leuchten Sie mit der Stablampe hinein …«
    Pjetkins Lampe riß neue Köpfe ins Licht. Zwei Männer hoben sie in die Freiheit. Körper, schmutzig, durchnäßt, zitternd vor Aufregung.
    Ein Ehepaar mit drei Kindern. Tränen, Schluchzen, Küsse.
    »Weg!« schrie Männi. »Die Treppe rauf …«
    Eine Hochschwangere. Dahinter ihr Mann. Ein junger Riese. Er schob einen Sack mit Wäsche und anderen Sachen vor sich her. Dann ein alter Mann, der sich ein Taschentuch in den Mund gestopft hatte, um nicht zu husten. Er war dem Ersticken nahe, rang mit hochrotem Kopf nach Luft, als er sich den Stoff aus dem Mund riß. Pjetkin machte Atemübungen mit ihm, so gut es hier ging und schob ihn dann zur Treppe. Ein Liebespaar, das Hand in Hand durch den Gang kroch. Wieder eine Familie. Ein Säugling, der in eine Decke gewickelt auf dem Arm der Mutter schlief, einen Schnuller im Mund. Ein Kind weinte … der Vater ging hinter ihm und hielt ihm seine breite Hand vor den Mund … er sprach flüsternd auf das Kind ein und ließ den Kopf des Mädchens erst los, als ihn Pjetkins Lichtschein traf.
    Zwei ältere Frauen … die eine humpelte am Stock und betete bei jedem Schritt.
    Pjetkin zählte … neununddreißig sind es im ganzen … also jetzt noch sieben … noch vier … noch zwei … Wo blieb Dunja? Gott im Himmel … wo blieb Dunja?
    Stapelhorst erschien. Dreckig, erschöpft, aber glücklich lehnte er an der Wand. Seine beiden Freunde krochen aus dem Tunnel, Lehmgestalten, stinkend, unkenntlich wie Fabelwesen. Durch Pjetkin lief ein Zittern. Plötzlich brannte sein Körper, es war ihm, als verglühe er in einem Blitz. Er stürzte auf Stapelhorst und packte ihn an den Schultern.
    »Wo ist Dunja?« schrie er. Seine Stimme überschlug sich in dem kleinen Keller. »Was ist passiert? Wo ist Dunja? Warum kommt sie nicht mit?«
    Stapelhorst schwieg. Er atmete schwer und schob mit Mühe Pjetkins Hände von seiner Schulter. Wortlos zeigte er auf den Gang. Pjetkin fuhr herum.
    In dem schwarzen Loch erschien ein Kopf, umhüllt von einem Kopftuch, und es war gebunden, wie die russischen Bäuerinnen ihre Tücher um die Haare binden, ehe sie aufs Feld gehen.
    »Dunjuschka …«, stammelte Pjetkin. »O Himmel … Dunjuschka …«
    Er fiel vor dem Gang auf die Knie, zog sie heraus, riß sie an sich, umarmte sie, küßte ihr die Erde vom Gesicht und die Nässe aus den Augen. »Dunjenka … mein Liebling … mein …« Die Stimme versagte ihm. Er hörte, wie sie »Igorenka, o Igorenka« stammelte, dann umklammerten sie sich wieder, als gäbe es jetzt noch etwas, was sie auseinanderreißen könnte.
    Stapelhorst ließ sie am Tunnel knien, winkte den anderen und stieg die Treppe hinauf ins Haus.
    »Wir warten auf Sie, Doktor«, sagte er an der Treppe. »Lassen Sie sich Zeit –«
    »Du bist es …«, flüsterte Dunja. Ihre Hände umfaßten Pjetkins Kopf. Die Taschenlampe lag auf der Erde, ein Licht, das immer matter wurde. Die Batterien waren erschöpft. »Du bist es wirklich … Halt mich fest, Igorenka – halt mich ganz fest …«
    Pjetkin atmete wie ein Erstickender. Die Welt war vollkommen für ihn. Es würde eine eigene Welt werden, eine Insel inmitten eines brüllenden Meeres von Haß und Mißgunst, Jagd nach Reichtum und Ruhm, Betrug und Verlogenheit, Schwachheit und Kraftprotzerei, Heuchelei und Gotteslästerung. Ein kleines eigenes Leben, drei Menschen in einem selbst ausgegrabenen Paradies. Drei …
    Pjetkin schob Dunja etwas von sich und beugte sich wieder in das schwarze Loch. Er lauschte in den unterirdischen Gang, er wartete auf das Tappen von Schritten. Langsam, ganz vorsichtig, als könne er abreißen, zog Dunja seinen Kopf zurück. »Auf wen wartest du?«
    »Auf Marko. Er muß gleich kommen … warum braucht er so lange?«
    »Marko kommt nicht.«
    Sie griff schnell zu, als Pjetkin hochzuckte und zog ihn zu sich herunter. Sie legte beide Hände um sein Gesicht und streichelte es. Er spürte das Zittern ihrer Finger, legte seine Stirn auf ihre Schulter und hörte ihr zu. Übelkeit überfiel ihn, die Übelkeit nicht mehr beherrschbarer Schmerzen.
    »Bis zuletzt habe ich auf ihn eingeredet«, sagte sie. »Er hat mich in den Gang gehoben, ist ein Stück mitgegangen, bis zur Hälfte etwa, ist dann stehengeblieben und hat mir nachgewinkt. ›Umarme mein Söhnchen‹, hat er mir
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