Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
den Westen gekommen bin.«
    »Das hat mich am meisten verwundert, Doktor.« Stapelhorst legte den Kriminalroman auf den Nachttisch. »Sie lassen sich ausweisen und haben das Ziel, diese Dunja herüberzuholen. Sie hoffen darauf, daß Ihnen hier jemand hilft. Daß die Welt aufsteht und Ihr Recht anmeldet, daß die Sowjets weich werden und Dunja hinterherschicken. Ist das nun ein Trick, habe ich mich gefragt, oder weltfremde Träumerei?«
    »Träumerei –«
    »Aha! Ihnen hat niemand geholfen?«
    »Nein.«
    »Und das haben Sie nicht geahnt?«
    »Nein. Ich habe mir das Interesse am Recht anders vorgestellt. Sie können das nicht verstehen, Stapelhorst. Man stellt sich vor, daß eine Welt, die nur vom Recht spricht, von Menschenwürde, Freiheit und Selbstbestimmung, daß diese mit herrlichen Gedanken vollgefressene Welt auch noch für diese Gedanken kämpft.«
    »Und Sie haben nicht gewußt, daß das alles nur hohle Schlagworte sind, und Parolen aus den Scheißhäusern der Politiker?«
    »Nein. In Workuta nicht. Jetzt weiß ich es … langsam, ganz langsam gewöhne ich mich daran. Wie am Eismeer oder in Kasakstan stehe ich jetzt wieder allein, und muß mich weitertasten. Sie haben recht: Niemand hilft mir. Der Lack ihrer Autos ist den Menschen hier viel wichtiger als ein Menschenschicksal.«
    »Es gibt Ausnahmen.«
    »Ein so riesiges Vergrößerungsglas habe ich nicht, um die zu suchen.«
    Heiner Stapelhorst rutschte etwas tiefer und stützte sich auf die Ellenbogen. Sein Jungengesicht, das er durch einen Bartkranz ins Männliche transponierte, strahlte. Der Lichtkegel der Taschenlampe klebte unter seinem bärtigen Kinne. »Sie sind mir sympathisch, Doktor«, sagte er noch leiser als zuvor. Die anderen Verletzten schliefen. In der Ecke schnarchte einer, als säße eine Motorsäge in seinem Kehlkopf. »Und wissen Sie, warum? Weil Sie mir keine Moralpredigten gehalten haben. Gut, ich gebe zu, ich war an dem Autounfall schuld. Zu schnell gefahren und dann noch einen im Zacken. Die Blutprobe kennen Sie ja. Der Führerschein ist futsch, aber nicht lange. Mein Vater ist Alter Herr bei den Borussen, und der Amtsgerichtsrat, der den Fall bekommt, auch. Da werden die Hände gewaschen, und alles ist okay. Auch mit der Uni regeln sie das. Ich studiere Germanistik und Kunstwissenschaft. Ja, das wollte ich sagen: Die anderen schmieren einem diesen Unfall immer wieder aufs Butterbrot … aber Sie haben keinen Ton gesagt. Sie haben mich wieder zusammengeflickt und damit basta. Das gefällt mir. Doktor, eine Frage noch, aber fallen Sie nicht gleich um: Sollen wir Ihre Dunja zu Ihnen nach Berlin holen?«
    Pjetkin fuhr blitzschnell herum. Er hatte bis jetzt zum Fenster hinausgesehen. Die Frage traf ihn wie ein tiefer Stich in sein Herz. Er vergaß sogar, zu atmen. Seufzend zog er dann wieder die Luft ein.
    »Blödsinn«, sagte er rauh. »Von Leningrad –«
    »Von Ost-Berlin. Wenn Ihre Dunja nach Ost-Berlin kommen könnte, dann wäre es …« Stapelhorst hielt Pjetkin plötzlich die Hand hin. »Ich muß Ihnen was sagen, Doktor. Aber zuerst Ihr Ehrenwort. Ihr heiligstes …«
    »Sie haben es, Stapelhorst.«
    Eine ungeheure Unruhe hatte Pjetkin überfallen. Er legte die Hände zusammen und zwang sich, nicht aufzuspringen. Auch das sind alles Worte, redete er sich ein. Phantastereien. Er will sich wichtig machen. Steh auf und geh weg. In den anderen Zimmern warten die Kranken auf dich.
    Stapelhorst schien auch mit sich zu ringen. Er starrte Pjetkin an, knipste die Taschenlampe aus und setzte sich wieder, lehnte sich an die Rückwand des Bettes und drehte den Kopf zum Fenster. Die warme Nacht war voll Geräusche. Ein zärtlicher Wind in den Bäumen, fernes Autohupen, ein verschlafener bellender Hund, Stimmen von irgendwelchen Nachtvögeln, das hohe Brummen eines Flugzeuges.
    »Doktor –«, sagte Stapelhorst sehr ernst. »Ich vertraue Ihnen. Wir bauen seit vier Monaten einen Tunnel unter die Mauer. Wir – das sind neun Studenten, die alle Verwandte drüben in Ost-Berlin haben. Es ist ein verdammt sicherer Tunnel unter der Dresdener Straße her. Wir können nur nachts arbeiten und fahren den Ausschachtungsdreck in kleinen Karren auf Trümmergrundstücke. Darum dauert's so lange. Aber in acht Wochen könnten wir fertig sein. Dann geben wir drüben Nachricht und holen die Verwandten rüber. Ihre Dunja kann sich ihnen anschließen, bis jetzt sind es vierunddreißig Personen. Es muß nur eine Möglichkeit gefunden werden, sie von Leningrad nach
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher