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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind
Autoren: Heinz G. Konsalik
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»Ich hole euch herüber.«
    »Bei mir ist es kein Problem. Ich kann das nächste Schiff nach Lübeck nehmen. Aber Dunja? Soll sie durch die Ostsee schwimmen?«
    Es waren traurige Gespräche, die nichts enthielten als die große Hoffnung. Als den Glauben an ein Wunder. Jedoch Wunder im zwanzigsten Jahrhundert …?
    Im Krankenhaus arbeitete Pjetkin in der Unfall-Chirurgie. Prof. Limbach beging nicht den Fehler seines Kollegen Weberfeld und schätzte Pjetkin falsch ein, nur weil er ein sowjetisches Diplom besaß. Er ließ ihn operieren, beobachtete ihn dabei und sagte dann: »Lieber Dr. Kramer, ich geben Ihnen die Station III. Kollege Schuller verläßt uns in 14 Tagen … Sie können die Station schon jetzt betreuen.«
    Pjetkin war glücklich. Er richtete Brüche ein, nagelte und flickte zerrissene Leiber, tröstete die Verwandten der Verletzten und schlief in einer winzigen Kammer auf dem Flur seiner Station. Er machte Tag und Nacht Dienst, und er war im Operationssaal ein so schneller Arbeiter, daß die Kollegen, die ihm assistierten, allein schon durch die Handreichungen ins Schwitzen gerieten.
    »Das ist kein Chirurg, das ist ein Artist«, sagte Dr. Danner, ein junger Assistent. Verdammt, ich habe bei Thimburg famuliert, der war ein Sprinter am OP-Tisch … aber dieser Kramer, der näht schon, bevor der Faden eingefädelt ist …
    In der Nacht ging Pjetkin oft von Zimmer zu Zimmer. Es gab Patienten, die trotz Schlafmittel nicht einschlafen konnten … bei ihnen setzte er sich aufs Bett und erzählte ihnen sibirische Märchen. Er saß bei den Sterbenden und spielte Karten mit den Genesenden, er war immer da, kannte jeden und wurde zum Beichtvater verborgener Nöte.
    In einer dieser Nächte lernte er den Studenten Heiner Stapelhorst kennen. Stapelhorst hatte einen leichten Autounfall gehabt, war mit einigen Fleischwunden eingeliefert und von Pjetkin genäht worden. Nun lag er im Bett, las unter der Bettdecke mit einer Taschenlampe in einem Kriminalroman und stellte sich schlafend, als Pjetkin ins Zimmer kam.
    »Das ist ein uralter Trick«, sagte Pjetkin leise und setzte sich auf die Bettkante. »Tauchen Sie wieder auf …«
    Stapelhorst schlug die Bettdecke zurück und schob sich auf das Kopfkissen. »Ich kann nicht schlafen, Doktor. Die Wunden brennen.«
    »Bis morgen nur noch. Soll ich Ihnen eine Injektion machen?« »Nein. Dieses ganze chemische Zeug …« Stapelhorst knipste die Taschenlampe wieder an und schob sie so unter die Bettdecke, daß nur ein leichter Schein sein Gesicht und Pjetkin erhellte. »Wenn ich weiterlesen darf, Doktor. Ich störe keinen damit.«
    »Was lesen Sie denn?« Pjetkin hob das Taschenbuch hoch. »Die rote Spinne … spannend?«
    »Mittelprächtig. Ihr Leben ist spannender, Doktor.«
    »Meins?« Pjetkin zog sich innerlich zurück. Er baute einen Panzer um sich, unsichtbar, aber undurchdringbar. »Ein Laie glaubt immer, das Leben eines Arztes sei etwas Grandioses. Es ist schwere Knochenarbeit, weiter nichts.«
    »Das meine ich nicht.« Stapelhorst beugte sich vor. »Ich habe sie gleich wiedererkannt … die Bilder damals … Sie sind doch der Arzt, über den vor ein paar Monaten alle Zeitungen berichteten. Russe und doch kein Russe, Ostpreußenkind, verschleppt und nun freigelassen und so weiter – stimmt's?«
    »Ja«, sagte Pjetkin hart. »Das bin ich.«
    »Ich fand Ihre Story toll.«
    »Es war keine Story. Es war ein verdammtes und doch schönes Leben. Schlafen Sie jetzt, Herr Stapelhorst. ›Die rote Spinne‹ sollten Sie in der Schublade weiterspinnen lassen.«
    »Gehen Sie nicht, bitte, Doktor.« Stapelhorst setzte sich im Bett. Der Schein der Taschenlampe beleuchtete seinen verbundenen Bauch. »Denken Sie nicht: Da liegt einer im Bett, der will nur noch einmal die Sensation aufwärmen. Und halten Sie mich nicht für anmaßend, Doktor. Spielte in der ganzen Sache nicht eine Dunja eine große Rolle?«
    »Ja.«
    »Gibt's die noch?«
    »Sie wird es immer geben«, sagte Pjetkin und blickte zum Fenster. Draußen lag eine helle Sommernacht wie ein Seidentuch über Berlin. Dunja, dachte Pjetkin. Sommer in Issakowa. Im Amur badet sich der Mond. Gibt es Worte für diese Nächte? »Sie lebt jetzt in Leningrad, als Oberärztin in einer Klinik.«
    »Und Sie wollen sie hier haben, was?«
    Pjetkin zögerte. Die Fragen des Studenten Stapelhorst ärgerten ihn und reizten ihn doch zur Antwort.
    »Natürlich«, sagte er. »Wenn Sie die Berichte so genau gelesen haben, wissen Sie auch, warum ich in
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