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Harka der Sohn des Haeuptlings

Harka der Sohn des Haeuptlings

Titel: Harka der Sohn des Haeuptlings
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Sollte er hiervon sprechen, um Tatanka-yotanka zu überzeugen, daß die weißen Männer längst dem Geheimnis der Berge auf der Spur waren? Aber dann würde Tatanka dagegen fragen, warum der Häuptling Mattotaupa diesen Fährten nicht gründlicher nachgegangen war. Nein, hiermit konnte Harka nicht beginnen. Er mußte sagen, daß Hawandschita, der Mattotaupa beschuldigt, ein Lügner war. Und so sprach er bestimmt und jedes Wort betonend: »Hawandschita lügt. Er selbst war bei den Pani und bei den weißen Männern, die den Weg für das Feuerroß bauen wollen, und er hat ihnen gesagt, daß ich am Ufer des Flusses, der um den Fuß der Schwarzen Hügel fließt, ein Korn Gold gefunden habe und daß die Bärenbande um das Geheimnis des Goldes wisse. Dafür, daß er den weißen Männern dies verraten hat, gaben die weißen Männer ihm seinen großen Zauber: Büffel und Frieden für uns. Bis dahin hatten die Bärenbande und die weißen Männer kaum etwas voneinander gewußt. Aber nun reden alle Zungen von dem, was Hawandschita über uns berichtet hat, und die weißen Männer kommen schon, einer nach dem anderen, erst der Gelbbart, nun The Red. Das ist Hawandschitas Schuld. Mein Vater Mattotaupa aber hat sehr wohl gewußt, daß wir das Geheimnis des Goldes hüten müssen und daß uns Verderben droht, wenn es den weißen Männern bekannt wird. Mein Vater hat das Goldkorn in den Fluß geworfen, Hawandschita hat es wieder an sich genommen. Mein Vater hat mich schwören lassen, daß ich schweige. Hawandschita aber ist mit Schonka und dem Goldkorn zu den Pani gezogen.«
    »Harka Steinhart!«
    »Ich habe gesprochen, hau.«
    »Wie willst du deine Worte beweisen?«
    »Schonka hat Hawandschita begleitet. Aber niemals wird er die Wahrheit sagen. Auch er wird lügen. Kraushaar hat Hawandschita das Goldkorn gegeben, das er aus dem Wasser geholt hat. Er wird nichts sagen, denn Kraushaars Vater, Fremde Muschel, ist durch Hawandschitas Verrat befreit worden. Kraushaars Zunge ist auch gebunden. Hawandschita aber lügt.«
    »Hawandschita lügt nicht, Knabe! Er ist ein grimmiger Feind der weißen Männer, ich weiß es. Hüte du deine Zunge! Sonst müssen wir dich fesseln, wie wir deinen Vater gefesselt hatten.«
    Harka hob den Kopf und sah Tatanka-yotanka wieder in die Augen, und als er begriff, daß sie vor ihm verschlossen blieben, antwortete er: »Ich werde meine Zunge hüten.« Der Ton seiner Stimme war kalt wie das Eis, das jedem, der es lange berührt, weh tut.
    Tatankas Mienen blieben mißtrauisch, ja, sie wurden traurig. Er betrachtete den Jungen lange, wortlos, als ob er in die Gedanken eindringen wolle, die jetzt in diesem Kopf wühlten, und er schien zu überlegen.
    »Dein Vater«, sprach er dann, »hat uns geschworen, daß er sich dem Ratsschluß der Krieger und Ältesten unterwirft. Die Versammlung hat beschlossen, daß Mattotaupa aus der Bärenbande, aus dem Stamm der Oglala und den sieben Stämmen der Dakota ausgestoßen wird. Er wird unsere Zelte heute nacht ohne Waffen verlassen und niemals mehr wiederkehren. Du aber, Harka Bärenjäger, wirst bei uns bleiben und eines Tages ein großer Krieger und Häuptling sein.«
    »Ich werde eines Tages ein großer Krieger und Häuptling sein«, sagte Harka mechanisch, und niemand als er selbst konnte wissen, was er dabei dachte und fühlte.
    »Darum habe ich dir das Mazzawaken belassen.«
    »Es wird das Mazzawaken in den Händen eines großen Kriegers und Häuptlings sein, den seine Feinde fürchten.«
    »Hau, es wird so sein, wie du sagst. Jetzt komm.«
    Harka stand auf. So wie er war folgte er Tatankayotanka, noch immer nackt, mit wirrem Haar, mit ausgetrocknetem Gaumen, an dem die Zunge ankleben wollte.
    Der große Geheimnismann der Dakota führte den Knaben in das heimatliche, in das väterliche Tipi. Harka sah die schlanken Fichtenstangen, die an der Spitze zusammenliefen, einige Jagdtrophäen, die daran hingen Büffelhörner mit dem Kopfstück, Bärenklauen, Waffen besiegter Feinde, Bogen, Keulen –, er sah die Felle und Decken am Boden, die Feuerstelle. Alles war, wie es immer gewesen war, und doch ganz anders. Im Hintergrund saß Untschida, starr wie eine Tote. Neben ihr saß Uinonah, still, mit trockenen Augen, bleich. Bei ihr saß auch Harpstennah; seine Lippen hatten sich verzogen von unterdrücktem Weinen. Scheschoka hatte Schultern und Rücken gekrümmt, und sie mochte sich die Frage vorlegen, wer jetzt die Bewohner dieses Zeltes ernähren sollte. Unglück kam über
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