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Harka der Sohn des Haeuptlings

Harka der Sohn des Haeuptlings

Titel: Harka der Sohn des Haeuptlings
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Das Geheimnis der Höhle
     
    Die Nacht war windstill. Nicht ein einziges Blatt, nicht einer der benadelten Zweige rührte sich. Die Rinde der Stämme war an der gegen Nordosten offenen Seite des Berghanges noch feucht, fast naß; der herangewehte Schnee war unter der ersten Frühlingswärme geschmolzen. Von dem Fluß, der sich um das Massiv der Black Hills wand, zogen Nebel herauf. Sie webten über Moos und Fels, zwischen dem Gesträuch hindurch und um die Bäume und machten das Blaudunkel der Mondnacht, die Schatten, mit denen die Baumkronen das Licht der Gestirne verbargen, noch undurchsichtiger.
    Hoch am Hang, bei einer verholzten Wurzel, hockte ein Indianerknabe. Er bewegte sich nicht, so daß das Getier ihn nur durch den Geruch wahrnahm. Ein Wiesel hatte den Weg geändert, weil es den Menschen witterte, aber die Eule schwebte arglos an dem erstorbenen Baum vorbei, mit dessen Schattenriß der Schatten des Knaben verschmolz. Dicht vor dem Jungen, aber ohne ihn zu berühren, fiel ein Schimmer des Mondlichtes bis auf den Waldboden; die ziehenden Nebel, der Boden selbst wurden dadurch auf Fußbreite schwach erhellt. Dieser helle Fleck änderte durch die sich bewegenden Nebel seine Form und schien so für das Auge das einzig Unruhige in der schweigenden und ruhigen Nacht.
    Die Augen des Knaben waren auf den Lichtfleck gerichtet. Mancher Junge hätte in der Finsternis und Einsamkeit des Bergwalds in dem Lichtschimmer Trost gesucht. Aber Harka Steinhart Nachtauge, der Dakotajunge, wußte zwischen Bäumen, Felsen und Tieren in der Nacht nichts von Furcht. Er hatte sein Messer dabei und konnte jederzeit einen Baum erklettern, das genügte für seine Sicherheit. Seine Gedanken waren auf etwas ganz anderes gerichtet.
    Er erkannte in dem fahlen und unsicheren Schimmer auf dem Waldboden die Spur eines Menschenfußes. Die Spur war frisch. Das war hier, kaum zwei Stunden von dem Zeltdorf oberhalb des Flusses entfernt, an sich nichts Auffallendes. Aber die Spur war sehr groß und auch durch andere Merkmale eigenartig. Harka Nachtauge mißtraute der eigenen Wahrnehmung. Ließ er sich vielleicht durch die Bewegung des Lichtflecks, durch die Nebel täuschen? Immer wieder maß er den Umriß des Fußes, der hier auf diesen Waldboden getreten war. Sein Blick für den Charakter einer Spur hatte sich unter der Anleitung des Vaters und der älteren Gespielen schon seit Jahren geschult und geschärft.
    Einen so breiten Fuß, einen so schweren Tritt, wie dieser Abdruck hier ihn verriet, hatte kein Mitglied der indianischen Jägergruppe, zu der Nachtauge Steinhart gehörte. Auch wenn der Knabe annahm, daß der Unbekannte, von dem die Spur stammte, mit dem linken Fuß am nadelbestreuten glatten Hang ausgeglitten war und dann mit dem ganzen Gewicht auf den rechten Fuß fallend Halt gesucht hatte – selbst dann war dieser Tritt für einen Indianer zu schwer. Die Konturen und Eindrücke stimmten auch in anderem nicht mit den Fußabdrücken überein, wie Harka Nachtauge sie kannte. Die Ferse war tiefer eingedrückt als die Zehenballen und hatte einen scharfkantigen Umriß.
    Harka schauerte zusammen. Fußabdrücke von dieser Art wurden in den Berichten großer Krieger und weiser Männer den Feinden zugeschrieben, den Wild- und Landräubern, den Langmessern, von denen der Dakotajunge noch nie einen zu Gesicht bekommen hatte.
    Harka beschloß, regungslos an seinem Platz zu bleiben, bis der Vater kam. Der Vater hatte ihn mitten in der Nacht von den Zelten fort in den Wald geschickt. Der Junge wußte noch nicht, warum und wozu, er wußte nur, daß es um etwas Bedeutsames ging, und ahnte, daß ihm der Vater, der Kriegshäuptling der Jagdgruppe, ein großes Geheimnis offenbaren wollte. Es war beschlossene Sache, daß das Dorf am folgenden Tag aufbrechen, die Waldberge verlassen und neue Jagdgründe in südlicheren Prärien suchen wollte. In der Nacht, ehe der Aufbruch erfolgte, wollte der Kriegshäuptling mit seinem Sohn noch über das Geheimnis der alten Waldheimat sprechen.
    Die Ahnung des Geheimnisses und die fremdartige Spur, in deren Umriß Feindschaft und Gefahr zu lauern schienen, spannten die Nerven und Sinne des Elfjährigen. Von dieser Spur hatte der Vater noch nichts wissen können, als er den Jungen in den Wald hinaufschickte.
    In den Baumkronen raschelte es, Harka lauschte. Er vermutete, daß sich zwei Wildkatzen verfolgten; die Jagd ging kreuz und quer. Vielleicht waren es Luchse. Die Tiere fauchten. Sie kamen näher. Der dürre
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