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Harka der Sohn des Haeuptlings

Harka der Sohn des Haeuptlings

Titel: Harka der Sohn des Haeuptlings
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Phantasiebilder.
    Das schwerste waren die letzten Stunden der Beratung und jetzt diese Stunde, als die Entscheidung schon gefallen war und Harka sie noch nicht kannte. Er wußte nicht genau, wessen man den Vater beschuldigt hatte oder überhaupt beschuldigen konnte. Er wußte nur, daß der Vater gesagt hatte: »Ich bin unschuldig!« Das genügte für Harka. Es mußte auch für die Krieger und Ältesten genügen, es mußte! Aber wenn …
    Dieses »Aber wenn …« legte sich Harka wie ein Strick um den Hals. Er konnte kaum mehr atmen, er konnte nicht mehr denken. Alle seine Gedanken brachen ab. Er war nichts mehr als »Abwarten«, nichts mehr als ein von seiner übermäßigen Erregung eingeschnürter, gebannter Mensch. Sogar sein Gehör wollte versagen. Er fürchtete sich davor, noch irgend etwas wahrzunehmen.
    So saß Harka an seinem Platz, als Tatanka-yotanka wieder eintrat.
    Der Knabe tat einen tiefen Atemzug, weil es nicht Hawandschita war, der zu ihm kam.
    Tatanka-yotanka setzte sich dem Knaben gegenüber, als ob dieser ein Mann und Krieger sei, mit dem ein Häuptling sprechen wollte. Harka wagte es jetzt vor sich selbst, die Augen wieder zu bewegen und die Ohren wieder zu öffnen. Er blickte Tatanka-yotanka ruhig und ernsthaft an und wunderte sich selbst über seine eigene äußere Gelassenheit.
    »Du sollst alles wissen, Harka Steinhart Bärenjäger«, begann der große Geheimnismann. »Du weißt schon mehr, als du wissen durftest, weil du des Nachts am Häuptlingszelte gespäht und gelauscht hast.«
    Harka senkte den Blick nicht. Er war entschlossen, zu allem zu stehen, was er getan hatte.
    »Du weißt also«, fuhr Tatanka-yotanka fort, »daß das Miniwaken des weißen Mannes fünf Krieger der Bärenbande zu Tölpeln gemacht hat. Darüber konnte ein jeder lachen. Dann hat der weiße Mann deinen Vater betrogen und ihm schwächeres Zauberwasser aus einem anderen Sack gereicht und gesagt, das sei das gleiche Zauberwasser, das die Krieger überwältigt habe, und dein Vater hat dem weißen Mann geglaubt und ohne Arg weitergetrunken. Als er dann starkes Zauberwasser erhielt, ohne es zu ahnen, ist er endlich selbst zum Tölpel ge worden. Darüber konnte niemand lachen. Verstehst du mich?«
    Es dauerte sehr lange, bis Harka eine Antwort gab. »Ich verstehe dich«, sagte er endlich, wie abwesend. Weiter sagte er nichts.
    »Hawandschita, der Geheimnismann eurer Zelte, hat heute am Morgen gegen deinen Vater eine furchtbare Anklage erhoben. Er sagt, dein Vater habe dem weißen Mann das Geheimnis verraten, wo im Land der Dakota Gold zu finden sei. Die weißen Männer streben nach Gold wie der Bär nach Honig. Sie werden jetzt darauf ausgehen, die Verträge zu brechen und unser Land zu rauben.«
    Tatanka-yotanka machte eine Pause und wartete, ob Harka etwas erwidern werde, aber Harka schwieg und rührte sich nicht.
    »Der weiße Mann mit Namen The Red ist uns entflohen. Er hat das Geheimnis mitgenommen.« Harka blieb stumm.
    »Dein Vater weiß nicht, was er getan hat, als er ein Tölpel war. Er kann es auch nicht glauben, daß seine betörte Zunge uns verraten habe. Wir hatten ihn gefesselt, weil er Hawandschita schmähte und uns widerstand, aber er schwor, sich dem Spruch der Ratsversammlung zu unterwerfen. Da löste ich seine Fesseln. Die Ratsversammlung hat jetzt gesprochen.«
    Harka öffnete die Lippen nicht, er fragte nicht.
    »Die Ratsversammlung hält die Anklage Hawandschitas für wahr und deinen Vater für schuldig.«
    Der Knabe wollte darauf etwas sagen, aber er fing schon das erste Wort in der Luft wieder ab, so daß sein sich öffnender und wieder schließender Mund wie das Schnappen eines Fisches wirkte, dem Wasser und Leben genommen wird.
    »Willst du etwas fragen, Harka?«
    »Und du?« brachte der Knabe hervor.
    »Auch ich. Auch ich denke, daß Hawandschita die Wahrheit gesprochen hat. Ich kann nicht daran zweifeln. Ich habe die beiden Säcke gefunden, von denen er sprach.«
    Harka schaute nicht mehr in die Augen, er schaute auf die Hände Tatanka-yotankas. In Gedanken faßte er nochmals alles zusammen, was er in den vergangenen Stunden in seiner Phantasie der Ratsversammlung vorgetragen hatte, um die Unschuld seines Vaters zu beweisen. Er konnte jetzt vor dem großen Geheimnismann keine lange Rede halten. Er mußte sich kurz fassen, und doch mußte in seinen Worten alles liegen, was die Wahrheit bezeugen konnte. Wie sollte er beginnen? Mit der geheimnisvollen und nie enträtselten Spur im Wald bei der Höhle?
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