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Harka der Sohn des Haeuptlings

Harka der Sohn des Haeuptlings

Titel: Harka der Sohn des Haeuptlings
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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noch Asche lag. Die Büchse hatte er quer über den Schoß gelegt.
    Es drang so viel Tageslicht in das Tipi ein, daß Harka die Gegenstände rings um sich erkennen konnte. Der Boden war mit Decken belegt. Von den Zeltstangen hingen merkwürdige Gebilde herab: Schlangen- und andere Tierhäute, getrocknete Kröten, Trommeln an Schnüren, Masken und Kappen. Harka hatte den alten Zaubermann schon oft bei seinen Geistertänzen gesehen, bei denen er solche Verkleidungen trug. Von frühester Kindheit an war den Knaben und Mädchen die Scheu vor der Macht des Zaubers eingeprägt worden. In Harka verstärkte sich das dumpfe Gefühl, daß er sich in einer Gefahr befinde.
    Der frohe Lärm draußen war abgeebbt. Aber es schwirrten noch viele halblaute Geräusche auf dem Dorfplatz umher und bis in das Zelt zu dem Knaben. Er hörte Stimmen, aber Worte konnte er nicht verstehen. Immer wieder horchte er, ob er nicht die Stimme des Vaters heraushören könne oder die Stimme eines Heroldes oder die Stimme des jungen weißen Mannes, der Mazzawaken und Miniwaken verschenkte. Aber es erklang kein lautes Wort, kein vernehmlicher Ruf mehr. Nur das undeutliche Stimmengewirr wogte noch um das Zelt wie Wasser, das unter verschiedenen Winden hin- und hertreibt.
    Harka machte sich Gedanken darüber, was die Männer, Burschen und Jungen leise miteinander zu besprechen hatten. Als der Morgen heraufgezogen war, mußte die Schande von Alte Antilope, dem Raben und den übrigen Gästen des Häuptlings bekannt geworden sein. Harka konnte das, was des Nachts im Tipi des Vaters geschehen war, nicht mehr lustig finden. Da ihm selbst gespannt und unheimlich zumute war, sah er nur noch das Jämmerliche und Unwürdige im Benehmen der Krieger, die von dem Geheimniswasser überwältigt worden waren. Wahrscheinlich wisperten und flüsterten die Dorfbewohner eben darüber, und er, Harka, würde darum im Zauberzelt gefangengehalten, weil er alles gesehen hatte. Harka war auf einmal fest überzeugt, daß Tatanka-yotanka von dem nächtlichen Spähunternehmen des Knaben wußte.
    Je länger Harka allein und regungslos im Zauberzelt saß, desto mehr erhob sich in ihm die Furcht, daß die beiden Geheimnismänner dem Häuptling Mattotaupa und dem Burschen mit den roten Haaren Vorwürfe machen würden, weil sie fünf Krieger der Bärenbande zum Gespött hatten werden lassen. Diese Furcht wühlte erst unterbewußt in Harka, als ein verborgenes Gefühl wie ein Maulwurf, der unter der Erde gräbt, aber langsam kam die Furcht in seine wachen Gedanken, so wie ein Maulwurf hervorkommt, der nach langem Wühlen die Erde hebt. Harka hatte nach den Ereignissen der vergangenen Monate ein tiefes, ihm selbst schauerliches Mißtrauen gegen Hawandschita gefaßt. Jetzt verband sich ihm die noch unbestimmte Vorstellung, daß der alte Zauberer irgend etwas Böses wollen könne und alles das, was Weitfliegender Vogel Gelbbart und Langspeer gesagt hatten, zu einem Bilde, in dem der alte Zauberer wie ein böser und gefährlicher Geist der lichten Gestalt des großen Kriegers und Jägers Mattotaupa gegenüberstand.
    Tatanka-yotanka hatte keinen Platz in diesem Bild. An ihn konnte Harka nur mit Ehrerbietung denken. The Red hatte auch keinen Platz in diesem Bild, das gleich einem Traumbild war. Vielleicht stand der weiße Mann an der Seite Harkas, um es mit ihm zusammen zu betrachten.
    Der Knabe faßte die Büchse auf seinem Schoß fest mit beiden Händen. Das war eine Waffe. Es war eine vortreffliche Waffe. Es war kein Zauber und kein Geist, weder ein böser noch ein wohlgesinnter. Weitfliegender Vogel Gelbbart hatte ihm erklärt, daß ein geschickter weißer Mann eine solche Waffe herstellen konnte.
    Harka sprach mit sich selbst. »Du mußt jetzt ruhig sein und alles sehen und hören, was du als Gefangener im Zauberzelt sehen und hören kannst. Über alles, was du beobachtest, mußt du genau und klar nachdenken. Hau.«
    Von diesem Moment an schaltete Harka alle Phantasien und Ahnungen in sich aus; er ging ganz in sich selbst zurück, in jene abwartende Ruhe, in der ein Jäger auf das Wild lauert. Das Wild waren für Harka Ereignisse, die sich in Reichweite seiner fünf Sinne abspielen würden. Sie mußte er registrieren, auf sie mußte er, wenn nötig, sehr schnell reagieren.
    Harka lud seine Büchse.
    Die Geräusche draußen verstummten. Es war, als ob sich das Schweigen, mit dem Tatanka-yotanka dem Knaben begegnet war, über das ganze Dorf lege. Harka strengte sein Gehör an, er lauschte
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