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Harka der Sohn des Haeuptlings

Harka der Sohn des Haeuptlings

Titel: Harka der Sohn des Haeuptlings
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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erraten war. Harkas Worten mußte er entnommen haben, daß dieser nicht seiner jetzigen Anweisung entsprechend, sondern gegen seinen ursprünglich geäußerten Willen ins Häuptlingstipi gekommen war. Er mußte aber auch verstanden haben, daß Hawandschita und Schonka den Knaben nicht von dem unterrichtet hatten, was von Tatanka-yotanka befohlen worden war. »Du bist nun hier«, sagte Tatanka. »Dein Mazzawaken kannst du behalten. Dein Vater selbst wird dir sagen, daß du es nicht auf einen Mann der Bärenbande richten sollst. Die Ratsversammlung wird zusammentreten und die Sache deines Vaters entscheiden. Solange nicht entschieden ist, gehst du in das Tipi Hawandschitas zurück. Wenn die Krieger und Ältesten gesprochen haben, erfährst du die Entscheidung.«
    Harka sah auf den Vater.
    »Geh und tue, was dir gesagt ist«, sprach Mattotaupa mühsam jedes Wort hervorbringend. »Ich bin unschuldig, verstehst du? Die Krieger und Ältesten werden mir das glauben.«
    »Ja, Vater.«
    Es fiel Harka schwer, das Zelt zu verlassen. Er klammerte sich mit all seinen Empfindungen der Verehrung und Liebe, mit all seinem Zutrauen, mit aller Empörung über die Gegner und Verleumder noch einen Augenblick am Anblick des Vaters fest. An den Vater, der gefesselt gewesen war und totenbleich vor ihm stand.
    Mit einem heftigen Entschluß, der ihm die Kehle zusammenschnürte, machte Harka kehrt und ging, die doppelläufige Büchse in der Hand, aus dem Zelt hinaus.
    Er sah sich draußen nicht um, er ging geradewegs, ohne den Schritt zu hemmen, in das Zelt Hawandschitas hinein. Dort setzte er sich neben die Feuerstelle genau an den gleichen Platz, an dem er vorher gesessen hatte, und legte die Büchse wieder quer über den Schoß, die Munition griffbereit. Unter den Augen Hawandschitas lud er beide Läufe. Schonka war nicht mehr im Zelt.
    Harka wartete. Er hatte jetzt nur noch den einen Gedanken, daß er dem Vater helfen wollte. Er war bereit, alles für den Vater zu tun, was in seiner Kraft lag.
    Von draußen ließ sich zunächst nichts mehr hören, was auf ein besonderes oder aufregendes Ereignis hätte schließen lassen. Harka vernahm den Ruf des Herolds, der die Ratsversammlung ankündigte.
    Eine Stunde später verließ Hawandschita, der kein Wort zu dem Knaben gesprochen hatte, das Zelt.
    Harka blieb wieder mit sich allein. Er hatte an diesem Tag noch nichts gegessen oder getrunken, aber das bemerkte er gar nicht. Er lauschte auf die leisen Geräusche, auf die Schritte der Männer, die sich zum großen Beratungszelt begaben, das dem Zaubertipi benachbart war. Er lauschte auf die Stimmen der Redner, die sich erhoben und gedämpft herüberklagen, aber er konnte die Worte, die die Krieger und Ältesten und Geheimnismänner sprachen, nicht verstehen. Er lauschte Stunde um Stunde, denn die Versammlung währte sehr lange.
    Sie wollte kein Ende nehmen.
    Schon längst hatte der Lichtfleck, den Harka sich für seine Beobachtung ausgesucht hatte, die Gestalt verändert und an Helle verloren. Es ging bereits dem Abend zu.
    Es wurde im dämmrigen Zelt dunkler, und Harka war einsam und allein mit seinem Mazzawaken, das ihm jetzt der beste und einzig zuverlässige Freund zu sein schien.
    Schließlich endete der Stimmenklang der Redner im Versammlungszelt. Harka hörte, daß die Männer das Zelt verließen. Vor dem Zelt blieben sie nicht stehen, sie bildeten keine Gruppen, sie sprachen nicht miteinander. Jeder schien seines Wegs ins eigene Tipi zu gehen.
    Es war still im Dorf. Die Jungen lärmten nicht. Von irgendwoher, ganz fern jaulte es. Vielleicht war das wieder einer der Hunde, die in der Zeit der Hungersnot entlaufen waren und nun zur Meute zurückstrebten.
    Die ersten Stunden des langen Wartens waren für Harka nicht die schwersten gewesen. Er hatte nur an den Vater gedacht; zunächst nicht an den Vater, wie er bei der letzten Begegnung vor ihm gestanden hatte, sondern an den Vater seines ganzen jungen Lebens, an den Vater, der sein Schirm und Schutz, sein Lehrer und Vorbild gewesen war, seitdem er laufen und selbständig denken konnte. Dann hatte er in seiner Phantasie in der Ratsversammlung gestanden und für den Vater gesprochen. Wieviel gute Gründe konnte er für die Schuldlosigkeit des Vaters in jeder Beziehung anführen, und er hatte sich vorgestellt, daß die Versammlung ihm recht geben würde.
    Aber je länger die wirkliche Beratung dauerte und je näher die wirkliche Entscheidung rückte, desto mehr verblaßten die
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