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Harka der Sohn des Haeuptlings

Harka der Sohn des Haeuptlings

Titel: Harka der Sohn des Haeuptlings
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Baum, an dessen Wurzel Harka hockte, erzitterte plötzlich; eines der Tiere war ins Geäst gesprungen. Das zweite folgte; ein wildes Fauchen erstarb, kaum begonnen, in einem gurgelnden Laut. Die Raubtiere hatten sich gepackt und bissen sich. Der Indianerknabe schaute mit einer fast unmerklichen Wendung des Kopfes nach oben. Er hatte recht vermutet, es waren Luchse. Ein dürrer Zweig brach. Die beiden Tiere stürzten, ohne sich loszulassen, sie überkugelten sich am steilen Hang und kamen nun doch auseinander. Das eine jagte davon, das zweite folgte nach kurzem Bedenken. Der Indianerjunge vernahm das Kratzen der Krallen, als die Tiere nicht weit von ihm wieder einen Baum erkletterten. Noch ein Fauchen, ein sich entfernendes Geräusch in den Zweigen, dann wurde es wieder still im nächtlichen Wald.
    Harka richtete seine Aufmerksamkeit von neuem auf den Lichtfleck, den der Mondschimmer auf den Waldboden warf. Er erschrak. Die kämpfenden Luchse hatten im Stürzen die Fußspur vollständig verdorben. Der Knabe würde sie seinem Vater nicht zeigen können.
    Da es keinen Sinn mehr hatte, nach der Stelle zu starren, dachte Harka nur noch an den Vater und dessen unbekanntes Vorhaben. Die verabredete Stunde war da.
    Bald mußte der Häuptling Mattotaupa kommen.
    Harka horchte. Er hatte ein feines Ohr, trotzdem gelang es dem Vater, ihn zu überraschen. Der Lichtfleck war plötzlich von der großen, nur vage wahrnehmbaren Gestalt des Häuptlings verdeckt. Der Knabe erhob sich, und der Vater legte ihm die Hand auf die Schulter. Einen Augenblick standen beide schweigend beieinander. Harka wartete, ob ihm der Vater etwas sagen werde. Als das nicht geschah, sagte er selbst sehr leise: »Hier war die frische Spur eines Fußes. Zwei Luchse haben sie verdorben. Es war nicht die Spur eines Indianers.«
    Es dauerte lange, bis der Häuptling antwortete. »Wir werden aufmerksam sein. Komm.«
    Er machte sich bergan auf den Weg, und sein Sohn Harka folgte ihm, vorsichtig, gewandt, mit sicherem und kräftigem, ausgreifendem Schritt wie der Vater.
    Der Hang wurde steil, und die Füße fanden nur noch Felsen, um die sich Baumwurzeln klammerten, und Moos. Es war hier mühsam zu gehen, aber es war nicht schwer, sich ohne Geräusch zu bewegen. Vom Himmel schauten Sterne durch das Geäst; der Mond war gewandert. Harka folgte dem Vater ohne Verzug, aber sein Herz klopfte jetzt, und der Schweiß brach ihm aus. Immer schneller kletterte der Häuptling, als fürchtete er, etwas zu versäumen.
    Endlich hielt er an, ohne daß der Junge erkennen konnte, welchen Grund es dazu gebe. Die beiden Indianer hatten eine Felswand umgangen, die etwa fünfzehn Meter hoch über die Baumwipfel herausragte. Sie befanden sich jetzt oberhalb dieser Steilwand, und der Knabe folgte dem Beispiel des Vaters, der sich hinlegte und, den Kopf vorsichtig über den Rand des Felshanges schiebend, hinunterlugte. Ein Wind hatte sich leise erhoben; die Wipfel am tiefer liegenden Hang neigten und hoben sich wie die Wellen eines dunklen Meeres.
    Mit einem Ruck faßte der Häuptling den Arm seines Jungen, als ob er ihn halten oder auf etwas aufmerksam machen wollte, und Harka entnahm dieser Bewegung, daß er nicht geträumt hatte, sondern daß der Vater gesehen haben mußte, was auch Harka Nachtauge gesehen hatte: Über eine Stelle der Felswand war ein Schatten geglitten, dessen Ursache dem Buben noch völlig rätselhaft schien.
    Auf dem Fels lag jener unbestimmte Schimmer, den der jetzt von Höhen und Wipfeln für das Auge verdeckte Mond und die Sterne in der Nacht entstehen ließen. In diesem matten Schimmer hatte sich, nur für ein Jägerauge wahrnehmbar, in der Mitte der Wand ein Schatten flüchtig bewegt, um sofort wieder zu verschwinden. Harka musterte die Stelle genau. Es wölbte sich dort ein Felsbuckel vor, während das Gestein dicht daneben stark zurückwich, fast, als habe es ein großes Loch. Vielleicht war dem auch wirklich so, vielleicht befand sich an dieser Stelle der Eingang zu einer der vielen Höhlen des Waldgebirges. Der Platz, an dem die Jägertruppe der Dakota, zu der Harka und sein Vater gehörten, seit einigen Wochen ihre Zelte aufgeschlagen hatte, war nicht allzu weit entfernt, zwei Stunden etwa, wie schon gesagt, unten am Fluß. Harka Steinhart Nachtauge hatte als Anführer des Bundes der »Jungen Hunde« die Gegend schon weit durchstreift. Eben diese Felswand aber, bei der er sich jetzt mit dem Vater befand, hatte er immer gemieden, da in den Zelten von einem
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