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Harka der Sohn des Haeuptlings

Harka der Sohn des Haeuptlings

Titel: Harka der Sohn des Haeuptlings
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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hinaus.
    Was sollte er tun?
    Er schaute sich um. Das Dorf war lebendig; er hatte das bei seinem Kommen als etwas Altgewohntes und in diesem Augenblick nicht eben Wichtiges kaum wahrgenommen. Aber als er jetzt mit den Augen überall umhersuchte, ließ er jedes Wesen und jeden Vorgang vor seinem Bewußtsein die Reihe passieren; die unruhigen Hunde, die ebenso hungrig waren wie der Junge selbst, die mageren Knaben, die ein Ballspiel mit Stöcken spielten und laut johlten, die kleinen Mädchen, die in den aufgeschlagenen Zelten den Müttern und großen Schwestern halfen, endlich die zahlreichen Pferde, die an Gesträuch, kargem Gras und Rinde knabberten, und vor einigen Zelten die Kriegs- und Jagdtrophäen Büffelhörner, Skalpe –, die an hohen Stangen aufgehängt waren und sich im Morgenwind bewegten. Am reichsten war die Stange vor Harkas väterlichem Zelt mit Trophäen versehen.
    Es dauerte nicht lange, bis Harka seinen Freund, den »Falken«, entdeckte. Dieser war älter als Harka, schon sechzehn Jahre, lang gewachsen und hager. Harka ging auf ihn zu, und Falke unterbrach seine Arbeit. Er war damit beschäftigt gewesen, Pfeilspitzen zuzurichten.
    Harka kauerte sich neben den andern, denn wenn er auch Eile hatte, so war es doch nicht ziemlich, eine wichtige Sache mit Hast zu betreiben. Er wiederholte den Bericht, den er Weißem Büffel gegeben hatte, fast wörtlich. »Nun sprich du, Tschetan«, so schloß er. Tschetan war das Wort für Falke.
    »Dein Vater ist unser Kriegshäuptling«, sagte der hagere und dunkelhäutige Bursche energisch. »Mag er doch befehlen. Ein fremder Mann ist in unseren Jagdgründen das bedeutet Kampf! Mattotaupa hat dazu selbst das Wort.«
    Harka schoß das Blut in die Wangen und bis zu den Schläfen hinauf. Er spürte aus den Worten des Freundes den Vorwurf, daß Mattotaupa nicht entschlossen genug sei, und weil er im tiefsten spürte, daß dieser Tadel gegenüber dem bewunderten Vater irgendeine Berechtigung habe, erbitterte er sich um so mehr darüber.
    »Mein Vater weiß, was er tut. Hau. Würdest du die Wache übernehmen, obgleich du noch kein Krieger bist?«
    »Das würde ich tun, wenn mein Vater Sonnenregen es erlaubt. Komm, wir gehen zusammen zu ihm.«
    Harka machte sich mit dem Freund zusammen auf den Weg. Sonnenregen, der Vater des Falken, befand sich nicht im Dorf. Er war auf die Prärie hinausgeritten, die sich weithin um den waldigen Bergstock zog, und die beiden jugendlichen Freunde holten sich daher ihre Pferde, um der Spur zu folgen. Falke wußte, daß sein Vater gegen Südwesten hin spähen wollte, ob Büffel in Sicht seien. Er brauchte mit Harka zusammen nur durch den Wald und durch den seichten Fluß zu reiten, der das Bergmassiv im Süden umfloß. Nach Durchquerung des letzten Waldstreifens entdeckte er auf dem unendlichen, welligen, braungrünen Grasland sofort die Reiterfährte des Vaters. Harka und Tschetan trieben ihre zierlichen, halbwilden Scheckenpferde, die sie ohne Sattel ritten, zum Galopp an, die Spur im Gras war für ihre Augen deutlich wie ein gezogener Pfad.
    Nach einer Viertelstunde erreichten sie den Gesuchten. Er war längst auf das dumpfe Geräusch, das die Hufe der beiden galoppierenden Pferde verursachten, aufmerksam geworden und hatte die jungen Reiter erspäht. Er hatte angehalten und erwartete die beiden zu Pferde.
    Harka wiederholte seinen Bericht wörtlich zum drittenmal, ohne etwas abzustreichen und ohne etwas hinzuzufügen.
    Sonnenregen schaute nachdenklich über die Prärie. Das Sonnenlicht war schon hell und blendend, und der Wind biß in die Augen, so daß die Indianer blinzelten.
    »Wir gehen zu dritt«, entschied der Krieger. »Harka führt uns. Ich will diese Stelle sehen, und Mattotaupa soll dann entscheiden, wer von uns die Wache übernimmt. Wenn nicht unterdessen schon etwas geschehen ist.«
    Zu Pferd waren der Wald und das Zeltdorf bald wieder erreicht. Die Indianer glitten von den Mustangs, und Harka und Tschetan brachten alle drei Tiere zur Herde zurück. Dann machten sie sich zu Fuß auf den Weg zu der Quelle und dem Häuptling Mattotaupa. Wie Wildkatzen huschten sie durch den Wald bergan, Harka als erster, ihm folgte Sonnenregen, und Falke beschloß die Reihe.
    Sobald sich die Dreiergruppe der Umgebung der Quelle näherte, wurde Harka als Führer sehr vorsichtig. Seine Vorsicht entsprang einer schon zum Instinkt gewordenen Erfahrung, daß man überall, wo etwas Unbekanntes am Werk sein konnte, selbst so unerkannt wie möglich
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