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Harka der Sohn des Haeuptlings

Harka der Sohn des Haeuptlings

Titel: Harka der Sohn des Haeuptlings
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Wildwechsel war.
    Nichts schien sich verändert zu haben, nirgends war eine verdächtige Spur zu sehen. Harka schaute aufmerksam umher. Hier am Bach sollte er sich mit Sonnenregen treffen.
    Zwischen dem Gesträuch am anderen Bachufer erschien das Gesicht des älteren Indianers. Harka und er schauten sich an, und jeder entnahm dem Blick des anderen, daß keiner etwas Auffallendes entdeckt hatte. Sonnenregen bedeutete Harka durch eine leise Kopfbewegung, daß er, auf seiner Uferseite bleibend, aufwärts zur Quelle schleichen wollte. Dann verschwand das Gesicht des Sonnenregen wieder, und wenn Harka nicht gewußt hätte, daß der Krieger am jenseitigen Ufer aufwärtsschlich, er würde nichts davon wahrgenommen haben. Vielleicht war der unbekannte Feind ebenso geschickt und bewegte sich irgendwo im Wald, ohne daß die Indianer ihn entdeckten?
    Harkas Spannung steigerte sich immer mehr, je näher er dem Platz kam, an dem sein Vater lag. Der Ohnmächtige oder Tote befand sich auf der Uferseite, an der der Knabe mit noch zunehmender Behutsamkeit aufwärts kroch.
    Harka erreichte eine Stelle, von der aus er die Quelle und den Vater aus der Nähe sehen konnte, während er selbst hinter Zweigen und einem kleineren Steinblock gut versteckt blieb. Dabei machte er eine überraschende Entdeckung, und Freude erfüllte ihn. Mattotaupa war nicht tot. Er bewegte seine Augen. Während seine Stirn zur Erde gewandt blieb, blickte er vorsichtig zu seinem Jungen hinüber, den er im Versteck bemerkt haben mußte.
    Mattotaupa lebte! Harka rührte sich nicht. Er suchte nur mit den Augen die Umgebung und die Gestalt des Vaters ab, jedem Fingerbreit widmete er einige Zeit seine Aufmerksamkeit. Wahrscheinlich verhielt sich Sonnenregen ebenso, denn von ihm war noch nichts wahrzunehmen, obgleich er am jenseitigen Bachufer längst ebenso weit gelangt sein mußte wie Harka am diesseitigen.
    Alle suchten mit den Augen und lauerten mit dem Gehör, Tschetan oben auf dem Fels, Harka und Sonnenregen im Wald am Bach und offenbar auch Mattotaupa selbst, der wach, aber regungslos liegenblieb.
    Die Sonne schien hell auf die kleine Lichtung an der Quelle. Zwei Bienen summten umher, die ersten ihrer Art nach der Schneeschmelze. Sie mußten hungrig sein wie die Menschen, die auch die Wintervorräte aufgezehrt hatten. Die Bienen suchten nach Blütenhonig, die Dakota nach Büffeln, aber noch hatten weder Tier noch Mensch gefunden, was sie zum Leben brauchten.
    Die ungestört summenden Bienen, eine Spinne, die über trockene Steine am Wasser kroch, ein Vogel, der herabflatterte und am Bach nippte, bewiesen, daß die vier Indianer sich ruhig genug verhielten, um die Tiere nicht scheu werden zu lassen. Gab es noch einen anderen Menschen, der sich auch so still verhielt? Das war immer wieder die Frage.
    Harka überlegte, warum sein Vater so merkwürdig auf dem Boden lag, mit dem Kopf abwärts, die Arme gespreizt, als ob er gestürzt sei. Der Junge prüfte genau die Lage der Steine. Mattotaupa mußte gestürzt sein. Die Spuren waren selbst für ein Jägerauge aus nächster Nähe kaum zu erkennen. Harka nahm an, daß der Vater am Bach gestanden hatte, etwas unterhalb der Quelle, so weit unterhalb, daß sich der Kopf in Höhe der Quelle selbst befand. Ein leichter Zeheneindruck im Sand verriet den Standplatz. Mattotaupa hatte so gestanden, daß er Fels und Quelle den Rücken drehte. Er hatte bachabwärts geschaut, sicher nur für einen Augenblick oder weil irgend etwas unten im Wald seine Aufmerksamkeit erregt hatte, vielleicht ein Geräusch. Als Harka den Vater vor Stunden verlassen hatte, hatte er noch wahrgenommen, wie dieser sich verbarg, um die Quelle unbemerkt zu beobachten. Warum war er aus seinem Versteck hervorgekommen? Das konnte der Knabe sich nicht erklären. Der Vater schien auch nicht verwundet zu sein. Sein brauner Rücken, die bärenfettglänzende Haut, die unempfindlich gegen Kälte und Nässe war, spiegelte in der Sonne; das blauschwarze Haar war glatt gescheitelt. Unversehrt war die Schlangenhaut, die als Stirnband diente. Unversehrt hingen die beiden schönen Federn des Kriegsadlers am Hinterkopf. Die helledernen Gamaschenhosen, die Mokassins waren nicht beschmutzt; das Messer war in der Scheide, das Lasso lag zur Hand. Das einzige, was Harkas Verdacht erregte, war ein seltsamer Stein, der nicht weit von Mattotaupa lag. Er glich nicht den Kieseln, die das Wasser rundgewaschen hatte, sondern war eckig und bizarr geformt. Seine Oberfläche war rauh wie
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