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Die Achte Suende

Die Achte Suende

Titel: Die Achte Suende
Autoren: Philipp Vandenberg
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Prolog
    Auch auf mehrmaliges Klingeln hin blieb die Wohnungstür verschlossen. Da holte er aus und schlug mit der Faust gegen die Türfüllung. Die beiden schwarz gekleideten Männer in seiner Begleitung blickten irritiert.
    »So öffnen Sie doch!«, rief er aufgebracht. »Wir wollen nur Ihr Bestes. Öffnen Sie im Namen Gottes, des Allerhöchsten!«
    Aus dem Innern der Wohnung kam eine ängstliche weibliche Stimme: »Ich kenne Sie nicht. Was wollen Sie? Verschwinden Sie!«
    Die Stimme klang aufgeregt, aber keineswegs hysterisch, wie er erwartet hatte. In einem anderen Fall hätte Don Anselmo auf dem Absatz kehrtgemacht. Mit der Erfahrung von vierzig Jahren auf diesem Gebiet wusste er nur zu genau, dass es manchmal mehrerer Anläufe bedurfte, um ans Ziel zu gelangen. Aber in diesem Fall war alles anders, ganz anders. Und Don Anselmo hatte lange mit sich gerungen, ob er dem Drängen von höchster Stelle nachgeben und zu der schrecklichen Tat schreiten sollte.
    Denn obwohl Don Anselmo in seinem klerikalen Leben schon tausendmal oder noch öfter den Teufel oder böse Dämonen mit so seltsamen Namen wie Incubus, Enoch oder Leviathan ausgetrieben und beklagenswerte Menschen von unerträglicher Seelenqual befreit hatte, kostete ihn jeder neue Fall Überwindung.
    Nicht nur wegen der körperlichen Anstrengung, die das Procedere erforderte. Vor allem die Erlebnisse, welche mit seiner Aufgabe einhergingen, hatten sich tief in sein Gedächtnis eingegraben. Dazu gehörte, dass manche Dämonen, mochten sie Baal oder Forcas heißen, der eine mit drei Köpfen, der andere ein ansehnlicher Kraftprotz und von verschlagener Schläue, vor ihm selbst nicht haltmachten und in ihn einfuhren.
    In einem Fall hatte sich Abu Gösch, der Dämon des Blutes, der jahrelang einer verkrüppelten Jungfrau aus Perugia beigewohnt hatte, bei der Teufelsaustreibung seiner bemächtigt, ohne dass er den Quälgeist bemerkte. Erst als er begann, sich selbst Schnitte und Verwundungen beizufügen, und daran ging, mithilfe einer Schere sein - zugegeben - nutzloses Fortpflanzungsorgan abzuschneiden, wurde ein Mitbruder aufmerksam und hielt ihn zurück.
    Durch Auflegen einer eilends herbeigeschafften Reliquie der heiligen Margareta von Cortona wich der Dämon aus Don Anselmo. Margareta hatte in ihrer Jugend in Sünde und Schande gelebt, später aber durch Kasteiung und Selbstgeißelung zum rechten Glauben gefunden. Dabei hatte sie sich Schnitte entlang der Oberschenkel und am Unterleib zugefügt.
    Erneut polterte Don Anselmo gegen die Tür und drückte auf den Klingelknopf. »Haben Sie vergessen, dass wir verabredet sind?«
    »Verabredet? Ich bin mit niemandem verabredet.«
    »Doch, letzte Woche. Erinnern Sie sich nicht?«
    »Letzte Woche war ich noch gar nicht hier«, kam die Stimme aus dem Innern der Wohnung.
    »Ich weiß«, erwiderte Don Anselmo. Nicht, weil es der Wahrheit entsprach, vielmehr wollte er der Frau keinen weiteren Anlass geben, sich aufzuregen.
    »Typisch«, murmelte der ältere seiner Begleiter, ein hochgewachsener Fünfziger mit kahlem, glänzendem Schädel und der Bräune eines Trientiner Bergführers. »Wir Neurologen sprechen von neurasthenischer Schizophrenie. Kein seltenes Phänomen, bei dem der Patient die Erinnerung an nahe liegende Dinge verliert.«
    »Unsinn«, bemerkte Don Anselmo ungehalten. »Das ist der Dämon Isaacaron. Er löscht alle klaren Gedanken aus und lenkt alles Tun und Handeln auf Verführung und Lust oder, wie man heute sagt, Sex.«
    Der zweite Begleiter, ein dicklicher Jüngling mit geröteten Wangen und kurzem Haarschnitt, schlug die Augen nieder und blickte betreten auf sein blank poliertes Schuhwerk. Sein Verhalten ließ kaum Zweifel aufkommen, dass es sich um den Studenten eines Priesterseminars handelte.
    Mit beiden Händen umklammerte der verschüchterte Studiosus den Griff einer kofferartigen schwarzen Ledertasche, in der die zur Teufelsaustreibung notwendigen Utensilien verstaut waren: eine violette Stola, zwei Flaschen mit unterschiedlichem Wasser, eine dicke weiße Kerze, eine Kapsel aus Nickel mit dem pulverisierten Docht einer geweihten Kerze, ein Kruzifix aus Messing, fünfzehn mal fünfundzwanzig Zentimeter, Spanngurte aus dem Autozubehörhandel und ein Buch im Oktavformat mit rotem Ledereinband und der in Gold geprägten Aufschrift:
    Rituale Romanum
Editio prima post Typicam
. (Römisches Ritenverzeichnis. .
Erste Ausgabe nach der Urschrift)
    Der Lärm hatte eine unerwünschte Zeugin angelockt, die ein
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