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Die Achte Suende

Die Achte Suende

Titel: Die Achte Suende
Autoren: Philipp Vandenberg
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aufregenden Frauenzimmer entwickelt.
    Ihr Biologiestudium für das höhere Lehramt hatte Lenchen schon bald nach dem Abitur aufgegeben. Warum sie nach Rom gegangen war, konnte oder wollte Marlene nicht sagen. Auch nicht, wovon sie eigentlich lebte. Jedenfalls war sie im Gegensatz zu allen anderen aus der Klasse nicht verheiratet. Das verwunderte.
    Bei Lukas Malberg, der als gutverdienender Antiquar in München lebte, hatte Marlene jedenfalls großen Eindruck hinterlassen. Als er sie letzte Woche anrief, meinte sie gesprächsweise, sie kenne da eine verarmte Marchesa, die sich von der Büchersammlung ihres verstorbenen Mannes trennen wolle – es seien wertvolle Folianten aus dem fünfzehnten Jahrhundert darunter. Malberg hatte sofort Interesse bekundet. Zugegeben, es waren nicht nur die Bücher, die ihn zu der Romreise veranlassten.
    Er war ein gut aussehender Junggeselle und Marlene eine attraktive Frau. Und Rom bot die perfekte Kulisse für eine aufregende Affäre.
    Natürlich war Marlene unpünktlich. Das hatte Lukas nicht anders erwartet. Der römische Verkehr führt ohnehin jeden Termin ad absurdum. Aber als Marlene gegen halb eins immer noch nicht eingetroffen war, griff Malberg zum Telefon und wählte die Nummer ihres Mobiltelefons. Doch es antwortete nur die Mailbox. Als er die Nummer ihres Festnetz-Anschlusses wählte, kam die automatische Ansage: »Dieser Anschluss ist zurzeit nicht erreichbar.«
    In der Annahme, er habe sich verwählt, versuchte es Lukas erneut.
    Nach dem dritten Versuch gab Malberg auf. Er blickte ratlos aus dem Fenster auf die Straße. Nach einer weiteren halben Stunde versuchte er es wieder.
    »Dieser Anschluss ist zurzeit nicht erreichbar.«
    Malberg wurde unruhig. Wenn etwas passiert war – warum ließ Marlene nichts von sich hören?
    Auf einem Zettel hatte er außer ihrer Telefonnummer auch ihre Adresse notiert: Via Gora 23. Vor dem Hotel bestieg Malberg ein Taxi.
    Das Haus in Trastevere, ein fünfstöckiger Klotz wie die meisten Häuser in der Straße, machte einen etwas heruntergekommenen Eindruck. Es war gewiss hundert Jahre alt, und der pompöse Eingang mit zwei hohen Säulen zu beiden Seiten konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine dringende Renovierung anstand.
    Von ihren Erzählungen wusste Malberg, dass Marlene eine geräumige Dachwohnung mit Terrasse und Blick auf Tiber und Palatin bewohnte.
    Vorbei an einer üppigen Concierge, die im Erdgeschoss uninteressiert durch einen Türspalt lugte, strebte Malberg dem Lift zu. Mit einem Schmunzeln nahm er den Namen auf dem Türschild der Hausbeschließerin wahr: Fellini. Das aus dunklem Mahagoni und geschliffenem Glas gefertigte Ungeheuer gab, noch ehe der Besucher einen Fuß hineingesetzt hatte, klagende und fauchende Geräusche von sich. Sie hallten durch das ganze Treppenhaus, als der Aufzug von oben herabschwebte. Malberg, der jeder Art von Fortbewegung, die von der Erde abhob, mit Misstrauen begegnete, entschloss sich, die Treppe zu nehmen.
    Die Luft im Treppenhaus war stickig. Es roch nach Bohnerwachs und Wischwasser. Auf dem Weg nach oben wurde er beinahe von zwei Männern umgerannt, die in großer Eile nach unten hasteten.
    »Können Sie nicht aufpassen!«, rief er den beiden hinterher.
    Im obersten Stockwerk angelangt, wischte sich Malberg den Schweiß von der Stirn.
    Eine zweiflügelige, weiß gestrichene Tür trug kein Namensschild. An der Wand eingelassen ein Klingelknopf aus Messing. Malberg klingelte.
    Aus dem Innern der Wohnung drang kein Laut.
    Nach einer Weile schellte Malberg ein zweites Mal, und als Marlene keine Reaktion zeigte, ein drittes und ein viertes Mal. Schließlich schlug er mit der flachen Hand gegen die Tür und rief: »Ich bin es, Lukas! Warum öffnest du nicht?«
    In diesem Augenblick gab die Tür nach – sie war nur angelehnt. Malberg zögerte. Vorsichtig trat er ein.
    »Marlene? Ist alles in Ordnung? Marlene?«
    Malberg lauschte mit geöffnetem Mund.
    »Marlene?«
    Keine Antwort.
    Malberg befiel auf einmal ein beklemmendes Gefühl. Er empfand plötzlich Angst, Furcht vor dem Ungewissen.
    »Marlene?«
    Sorgsam darauf bedacht, jedes Geräusch zu vermeiden, setzte Malberg einen Fuß vor den anderen. Ein herber, nicht unangenehmer Duft wie von Lilien lag in der Luft. Eher unbewusst nahm er im Flur die goldfarbenen Brokattapeten, die kostbaren Appliken und das antike Mobiliar wahr.
    Der Salon, ein geschmackvoll möbliertes Interieur mit schweren Polstermöbeln und voluminösem amerikanischem
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