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Harka der Sohn des Haeuptlings

Harka der Sohn des Haeuptlings

Titel: Harka der Sohn des Haeuptlings
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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bleiben mußte. In Deckung hinter Bäumen und Sträuchern leitete er seine beiden Begleiter zu einem Felsvorsprung am Berghang, von dem aus sie zu der Quelle hinabspähen konnten. Harka Steinhart Nachtauge freute sich sehr bei der Vorstellung, daß es ihm gelingen würde, den Vater zu beobachten, ohne selbst von ihm entdeckt zu werden. Ein solches kleines Meisterstück würde der Vater später lachend loben.
    Jäh brachen Harkas Gedanken ab, als er, zwischen Gebüsch am Boden liegend, den ersten Blick auf die Bergquelle und den Steilhang warf, den das Wasser hinunterschoß.
    Bei dem sprudelnden, hell plätschernden Wasser lag die mächtige Gestalt Mattotaupas; der Kopf war abwärts, die Füße waren am Hang aufwärts gelagert, die Arme und Hände wirkten schlaff. Der Häuptling lag auf dem Gesicht.
    Blut war nicht zu sehen, eine Verletzung – aus der gegebenen Entfernung – nicht zu bemerken. Das Messer steckte noch in der am Lederband getragenen Scheide. Harka spähte nach Spuren, aber sein Blick konnte keine finden.
    Am liebsten wäre er sofort zum Vater hinuntergesprungen, denn es quälte ihn eine entsetzliche Angst, daß Mattotaupa tot sei. Aber Sonnenregen, der Harkas Empfindung verstand und vielleicht auch teilte, hielt den Knaben durch eine Berührung mit der Hand zurück und gab dann in der lautlosen Zeichensprache seine Anweisungen für Harka und den jungen Tschetan. Tschetan sollte an dem Beobachtungsplatz bleiben, während Sonnenregen und Harka von rechts und links, die Quelle im Kreis umgehend, das Terrain sondieren und sich bei dem Quellbach wieder treffen wollten.
    Der elfjährige Harka hatte damit eine verantwortungsvolle Aufgabe. Er war sich bewußt, daß Sonnenregen auf ihn zählte wie auf einen Krieger. Dieses Vertrauen stärkte den Jungen, und der Anblick des Vaters, der ohnmächtig oder tot auf dem Waldboden lag, erbitterte ihn gegen den unbekannten Feind. Er empfand Spannung und zugleich jene Ruhe, wie sie der starke Mensch in dem Augenblick behält, in dem er einer Gefahr zu begegnen vollständig entschlossen ist.
    Vorsichtig schlich der Indianerknabe von dem buschbewachsenen Felsvorsprung, der als Ausguck gedient hatte, waldabwärts, immer in Deckung gegen den freien Platz um die Quelle. Bald kroch, bald huschte er weiter, gedeckt von Stämmen und Stämmchen. Er trat auf keinen dürren Zweig, und er vermied es, einen Ast zu bewegen. Nicht ein Blatt sollte sich rühren und den unbekannten Feind aufmerksam machen. Vielhundertmal hatte Harka schon einen solchen Gang geübt, im Spiel mit den Altersgenossen, auf der Kleinwildjagd im Wald mit dem Vater. Auch ein Dakotajunge machte eine strenge Schule durch, in der er alles für das Leben eines Jägers und Kriegers Notwendige lernte. Harka war der Anführer seiner Altersgenossen im »Bund der Jungen Hunde«. Das war er geworden, nicht weil er der Sohn des Kriegshäuptlings war, sondern weil er sich umsichtig, entschlossen und gewandt zeigte. Darum vertraute ihm heute auch Sonnenregen, der Unterhäuptling, wie einem Mann.
    Harka war am Waldrand ein gutes Stück abwärts gelangt, ohne daß sich bis dahin etwas ereignet hatte. Von seinen Gefährten nahm er nichts wahr, weder von Tschetan, der auf dem Fels oben in voller Deckung lag, noch von Sonnenregen, der gleich Harka auf der anderen Seite der Quelle durch den Wald schlich und einen weiteren Weg hatte als der Knabe, da er das Wasser erst von oben im Bogen umging.
    Der Morgengesang der Vögel war längst verstummt, nur hin und wieder ertönte noch ein Zwitschern und Zirpen. Eine Eidechse lag auf besonntem Geröll und wärmte sich auf. Harka umging den Platz sorgfältig, um das Tier nicht zu beunruhigen. Eine Eidechse, die weghuschte, konnte einen Feind schon mißtrauisch machen.
    Bis jetzt hatte der Knabe keinerlei Spur von einem Menschen entdeckt, der gekommen oder gegangen wäre. Mit gleichbleibender Vorsicht schlich er weiter und kam endlich dem reißenden Bach nahe, dem Abfluß der Quelle am Hang. Harka lugte zwischen Bäumen und Gesträuch nach dem Wasser. Die Wellen sprangen über glatt gescheuerten Boden und gewaschene Steine; sie fingen das Licht, glitzerten und wurden wieder dunkel wie Walderde und grünes Moos. Oben von der Quelle und tiefer unten von einem kleinen Wasserfall her rauschte es kräftig; dazwischen gluckerte und gurgelte es um ein paar Steine. Harka kannte dieses Wasser von seinen Streifzügen mit den »Jungen Hunden«. Er wußte genau, wie der Bach verlief und wo der
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