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Eine Luege ist nicht genug

Titel: Eine Luege ist nicht genug
Autoren: Alan Gratz
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Erstes Kapitel

    Denmark, Tennessee, stank. Übel. Wie toter Fisch, im Abwasser frikassiert. Das hab ich auch meinem Freund Hamilton Prince gesagt, während wir in seinem Offroader über die Straßen fuhren.
    »Du gewöhnst dich dran«, meinte er nur. »Denk einfach, das wäre der Geruch von Geld.«
    Und ich dachte immer, Geld würde nicht stinken.
    Die Elsinore Papierfabrik ist die Quelle des Gestanks und des Geldes, das hinter dem Vermögen der Familie Prince steht. Elsinore stellt das Papier her, das man für seinen Drucker braucht, das Papier, auf dem die Sportergebnisse stehen, und das, mit dem man sich den Hintern abwischt. Sie stellt nahezu jede Art Papier her, die es gibt, außer der Sorte, auf der Geldscheine gedruckt werden, doch davon kommt genug rein, sodass die Familie sich keine Sorgen zu machen braucht. Die Fabrik war außerdem der erste Ort, zu dem mich Hamilton bei meinem Sommerbesuch mitnahm. Ich war zwar nicht so richtig scharf darauf zu sehen, wie Papier hergestellt wird, doch Hamilton nutzte jede Entschuldigung, um aus dem Haus zu kommen, und ich sagte nicht nein.
    Ich deutete mit dem Kopf auf ein offenes Bier im Becherhalter. »Eins für die Straße?«
    »Ist ja nur eins und wir haben es nicht weit.« Er nickte über die Schulter nach hinten. »Für dich ist Bier im Kühlkasten, garantiert alkoholfrei.«
    Seit ich letzte Woche angerufen hatte, um zu sehen, ob das mit meinem Besuch noch klarging, hatten wir nicht mehr miteinander gesprochen, aber Hamilton blieb auch jetzt still, und ich ließ ihn schmoren. Er hatte eine Menge am Hals mit seinem toten Vater, der Heirat seines Onkels mit seiner Mutter und so. Ich wollte so viel fragen, wollte ihn aber auch nicht drängen.
    Jetzt kam leichter Nieselregen auf, und Hamilton schaltete die Scheibenwischer ein, während wir auf eine kleine Zufahrtsstraße abbogen. Ein Schild informierte uns, dass wir auf die Elsinore Papierfabrik zusteuerten, aber das hätte mir meine Nase auch sagen können. Die Anlage ist so weit von Hamiltons Haus entfernt, dass man sie von dort aus nicht sehen kann, aber nicht weit genug, um sie nicht zu riechen. Das war früher vielleicht einmal anders. Seit Generationen hatte die Papierfabrik Hamiltons Familie gehört und war von ihr geleitet worden. Sein Vater war Generaldirektor, als er starb, und jetzt führte Hamiltons Onkel die Firma. Irgendwann würde auch Hamilton sie übernehmen und damit sicherlich ein Riesenvermögen verdienen.
    »Ich hasse sie«, sagte Hamilton, als ich ihm genau das sagte. »Sie ist wie ein Gefängnis. Mein eigenes persönliches Gefängnis.«
    Hamilton neigte schon immer ein bisschen zur Melodramatik. Es war immer noch dieselbe alte Leier, die ich schon früher oft gehört und nie geglaubt hatte, doch der Ton, in dem er das jetzt gesagt hatte, ließ mich die Dinge plötzlich anders sehen.
    Zuerst hielt ich es für eine Täuschung wegen der beschlagenen Windschutzscheibe, doch als wir näher an den Sicherheitszaun vor der Fabrik kamen, sah ich ein Mädchen neben der Straße stehen und ein Schild hochhalten. Ihre Haare waren vom Regen angeklatscht und ihr Gesicht vom Wegwischen der Wassertröpfchen verschmiert, doch trotzdem konnte ich sehen, dass sie umwerfend war. Ihre Windjacke spannte an genau den richtigen Stellen und auch ihre Jeans saßen ziemlich gut. Hamilton hielt neben ihr und ließ das Fenster runter.
    »W as machst du denn hier?«, fragte er.
    »Protestieren.« Sie hielt ihm das Schild vor die Nase. Darauf stand: »Elsinore vergiftet den Copenhagen River.«
    »Bleib mir bloß vom Hals damit.«
    »Denmark ist euch Typen schon hundert Jahre lang damit vom Hals geblieben. Es ist Zeit, dass Elsinore sauber wird. Der Fluss ist so verdreckt, dass es dich umbringt, wenn du daraus trinkst.« Es regnete nun etwas stärker, doch das Mädchen wirkte davon unbeeindruckt.
    »Hier sieht dich doch niemand«, meinte Hamilton.
    Sie hielt sich das Schild gegen den Regen über den Kopf. »Du hast mich gesehen.«
    Ich mochte das Mädchen bereits jetzt. »He«, rief ich ihr zu, zog die alte Baseballkappe meines Vaters vom Kopf und warf sie ihr durch das offene Fenster zu. Sie fing sie mit der freien Hand und ließ sie nicht in den Matsch fallen, was mir sehr recht war.
    Das Mädchen nahm ihre Haare hinten zu einem Pferdeschwanz zusammen, zog die Kappe auf und ich sah, dass ich falschgelegen hatte. Sie war nicht umwerfend, sie war atemberaubend.
    Nachdem ihr Kopf nun bedeckt war, hielt sie das Schild wieder
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