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Harka der Sohn des Haeuptlings

Harka der Sohn des Haeuptlings

Titel: Harka der Sohn des Haeuptlings
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Zauber geraunt wurde, der hier wirken sollte. Vielleicht hing der schwer zu erklärende flüchtige Schatten damit zusammen? Harka schaute nach dem Vater, dessen ganze Aufmerksamkeit auch der Stelle galt, an der der Felsbuckel sich vorwölbte. Der Schatten war so gefallen, als ob sich hinter dieser Vorwölbung, für die beiden Indianer nicht sichtbar, irgend etwas schnell bewegt habe. Harka dachte nicht nur an den Zauber, er dachte auch an die Fußspur.
    Häuptling Mattotaupa richtete sich in kniende Stellung auf, löste das Lasso, das er bei sich trug, und legte es um einen stark verwurzelten Baum oberhalb des Felshanges. Die hängenden Lassoenden fest packend, stieg er dann vorsichtig den Fels hinunter; er hielt sich immer so, daß er von einem etwa hinter dem Felsbuckel befindlichen Menschen nicht angeschossen werden konnte, ohne daß dieser sich selbst dem Auge des Indianers preisgab. Der Häuptling war mit den ledernen indianischen Gamaschenhosen und dem breiten Schurzgürtel bekleidet; an den Füßen trug er die weichen Mokassins aus Wildleder. Das Haar war in Zöpfe geflochten, die über die Schulter fielen. Eine Lederschnur um den Nacken hielt die Lederscheide, in der das Messer steckte. Andere Waffen trug »Vier Bären« nicht bei sich, nicht einmal den Tomahawk.
    Der Häuptling umkletterte den Felsbuckel, hierzu reichte die halbe Lassolänge aus. Dann verschwand er für die Augen des Knaben hinter dem Felsvorsprung. Zwei Minuten lang blieb Harka allein, ohne etwas von dem Vater zu hören oder zu sehen. Schließlich kam die Hand des Häuptlings hinter dem Vorsprung hervor, und ein leichter Wink bedeutete dem Jungen, daß er dem Vater folgen sollte.
    Sehr rasch hatte auch Harka den Platz erreicht, an dem der Vater gebückt stand. Die beiden Indianer befanden sich am Eingang einer Höhle. Das Loch im Fels wirkte noch schwärzer als die Nacht. Der Häuptling ging ein paar Schritte weit in die Höhle hinein, mit dem Fuß immer vorsichtig tastend, denn der Höhlenboden war abschüssig. Harka folgte ihm in der gleichen Weise. Als der Vater sich setzte, setzte er sich auch. Die Höhlenwände waren feucht, die Luft beklemmend. Ganz von fern, aus der Tiefe des Berges, drang ein sanfter, fast singender Ton an das Ohr. Der Junge lauschte darauf, während er unwillkürlich recht nahe zum Vater rückte. Die mögliche Gefahr von seiten eines Menschen war im Augenblick gebannt, da sich die beiden Indianer jetzt selbst im Höhlendunkel befanden und nicht mehr im Mondlicht ein gutes Ziel für einen versteckten Feind darstellten. Sie mußten nur wachsam sein, dann konnten sie nicht leicht überrascht werden. Harka vertraute der Kampferfahrung des Vaters.
    Als der Häuptling sich überzeugt hatte, daß sich in der näheren Umgebung nichts rührte, machte er sich auf, um tiefer in die Höhle einzudringen. Es tropfte von der Höhlendecke. Merkwürdige Felsgebilde, die von der Decke herabzuwachsen schienen, und solche, die vom Boden her aufwuchsen wie kleine Pyramiden, sperrten den Weg an manchen Stellen, so daß das Vorwärtskommen schwierig war. Das Singen im Innern des Berges wurde stärker, es wuchs zu einem Rauschen an.
    Harka hatte alle Gedanken ausgeschaltet. Er achtete nur noch auf den Weg und auf den Vater. Die beiden Indianer waren schon tief in den Berg hineingelangt. Das Rauschen wurde übermächtig; ein Dröhnen erfüllte die Höhle, das jede andere Sinneswahrnehmung benahm.
    In diesem Augenblick spielte sich etwas ab, was Harka nur in Sekundenschnelle wie ein wirres grausiges Spiel wahrnehmen konnte. Es hatte mit einem Schrei angefangen, einem einzigen gräßlichen, aus dem Dunkel hervorbrechenden Laut, der rings um die Wände und mit dem Echo wieder zurücklief. Dann hatte die eine Hand des Vaters, nach Halt suchend, Harka gepackt, und der Junge hatte das Gefühl, daß er in irgendeine namenlose Tiefe gerissen werde. Entsetzen durchzuckte ihn; er schlang die Arme um einen Felszacken, den gleichen, an dem sich der Vater mit der anderen Hand noch hielt. Der Zacken brach ab. Wasser stäubte über Harka.
    Doch in diesem Moment mußte der Vater einen besseren Halt gefunden haben, denn er konnte den Knaben auf festen Felsboden ziehen. Von irgendwoher schrie es noch einmal, dann war nichts mehr um die beiden Indianer als Finsternis und das dröhnende Rauschen.
    Harka zwang seinen heftigen Atem zur Ruhe. Als er wieder denken konnte, fragte er sich, ob der Vater geschrien habe. Nein, es konnte nicht der Vater gewesen sein.
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