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Harka der Sohn des Haeuptlings

Harka der Sohn des Haeuptlings

Titel: Harka der Sohn des Haeuptlings
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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stehen. Der Zeltschlitz schloß sich hinter ihnen.
    Hawandschita starrte den Knaben an.
    Harka begegnete dem Blick des Zaubermannes nicht. Er beobachtete Schonka. Der Bursche war der fleischgewordene Hohn. Er hatte die Beine ein wenig gespreizt. Sein Mund zog sich breit, ohne sich zu öffnen. Die Augen blinzelten von unten her; der Kopf war ein wenig gesenkt wie bei einem Stier vor dem Angriff.
    »Gib das Mazzawaken dem Schonka!« befahl der alte Zaubermann dem Sohn Mattotaupas. Harka bewegte sich nicht gleich. Er faßte Schonka fest ins Auge. Er fing den Blick des Burschen, so daß dieser nicht ausweichen konnte.
    »Komm her!« sagte Harka zu seinem alten Gegner mit einer Ruhe, die viel mehr bedeutete, als irgendein Zeichen der Unruhe hätte sagen können.
    Schonka zögerte und schien auf eine weitere Anweisung Hawandschitas warten zu wollen, aber dann überwog bei ihm die Scham, daß jemand glauben könne, er fürchte sich vor einem Knaben. Er sprang plötzlich vor, um Harka die Büchse aus der Hand zu reißen.
    Harka schien sie dem Befehl des Zaubermannes gemäß Schonka überlassen zu wollen, aber er drückte dabei ab, und zwei Schüsse krachten im Zelt, so daß Schonka wie von einem Schlag getroffen zurückfuhr. Der Knabe stieß einen Schrei aus und stürzte, die Waffe und seine Munition fest umklammernd, aus dem Zelt.
    Draußen standen viele Menschen umher, durch die Ereignisse der letzten Stunden erregt, wenn auch nach außen hin still und schweigend. Verblüffung, Erschrecken, Entsetzen über das Krachen des Mazzawaken im Zauberzelt malte sich auf ihren Gesichtern. Sie schienen in diesem Augenblick wie gelähmt, und Harka rannte ungehindert zwischen ihnen hindurch zum väterlichen Tipi hinüber.
    Was war alles geschehen, seitdem er es am vergangenen Abend auf Wunsch seines Vaters verlassen hatte?
    Harka drang hastig in das Tipi ein, blieb aber sofort stehen, als sich die Planen hinter ihm wieder schlossen. Mit einem einzigen Blick erfaßte er das Bild, das sich ihm im Zelte bot.
    Das Feuer flackerte, aber es hingen weder Topf noch Spieß darüber. Keine Frau und kein Mädchen waren zu sehen.
    Neben der Feuerstelle stand Mattotaupa. Er trug noch die gleiche Kleidung wie in den Nachtstunden, in denen Harka ihn beobachtet hatte. Sein Gesicht war totenblaß. Die braune Haut wirkte grau. Aus den aufgerissenen Augen sprachen unbeantwortete Fragen und eine fassungslose Empörung. Am Boden neben seinen Füßen lagen zerschnittene Baststricke. Die Handgelenke des Häuptlings zeigten noch die Schwellungen und Einschnitte, die durch die Fesseln hervorgerufen worden waren.
    Seine Brust hob und senkte sich mit seinem tiefen kurzen Atem.
    Mattotaupa gegenüber standen Tatanka-yotanka und einige Krieger. Langsam, ganz langsam wandte der große Geheimnismann den Kopf und schaute Harka an. Das war der Augenblick, in dem Harka, kaum daß er das Zelt betreten hatte, auch schon regungslos stehenblieb. Sein Vater schien ihn noch gar nicht gesehen und erkannt zu haben. Er schien noch völlig von dem überwältigt zu sein, was sich bis dahin in dem Zelt abgespielt hatte.
    Aber als Tatanka-yotanka so lange nach dem Zelteingang blickte, schaute auch der Häuptling der Bärenbande sich endlich um und sah seinen Sohn, der das Mazzawaken in der Hand hielt. Niemand im Zelt konnte zweifeln, daß es Harka gewesen war, der im Zaubertipi geschossen hatte.
    Tatanka-yotanka ging auf den Jungen zu. Harka versuchte, gleichzeitig den großen Geheimnismann und seinen Vater zu beobachten. In den wenigen Sekunden, die die fünf Schritte Tatankas in Anspruch nahmen, versuchte Harka sich zu vergewissern, was geschehen könne oder was er tun wolle, ob der Vater ihm helfen werde oder ob er dem Vater helfen könne. Mattotaupa schaute seinen Sohn stumm, aber mit einer Eindringlichkeit an, die Harka ganz ergriff. Nichts würde er tun oder sagen, was nicht für den Vater war; nichts würde er gegen ihn tun. Niemals würde er sich zu einer solchen Schande zwingen lassen, den Vater zu verlassen.
    Tatanka-yotanka blieb vor Harka stehen. »Ich habe dich rufen lassen, Harka Steinhart Bärenjäger«, sprach er. »Warum hast du geschossen, ehe du kamst?«
    Harkas Atem ging wieder leichter. »Tatanka-yotanka! Keine Zunge hat mir deine Worte übermittelt. Ich habe nicht gewußt, daß du mich rufen läßt. Hawandschita befahl mir nur, mein Mazzawaken dem Schonka zu geben.«
    Über das Gesicht des großen Geheimnismannes ging ein Zucken, dessen Bedeutung nicht zu
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