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Ein Freund der Erde

Ein Freund der Erde

Titel: Ein Freund der Erde
Autoren: T.C. Boyle
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PROLOG
    Santa Ynez, November 2025
    Ich verfüttere gerade Kraftkekse und Hühnerrücken an die Hyäne und tue mein Bestes, um nach dem letzten Unwetter einigermaßen aufzuräumen, als das Telefon klingelt. Es meldet sich Andrea. Meine Exfrau Andrea Knowles Cotton Tierwater, meine Ehegattin von vor tausend Jahren, als ich noch jung und kraftvoll und gnadenlos männlich war – die Frau, die sich damals, als wir noch glaubten, so etwas hätte einen Sinn, regelmäßig an Kräne, Bulldozer und siebenhunderttausend Dollar teure Holzharvestermaschinen ketten ließ, die Frau, die mir half, meine Tochter großzuziehen, die Frau, die mich in den Wahnsinn trieb. Verdammt noch mal. Wenn schon jemand von damals wiederauftaucht, wieso dann nicht Teo? Bei dem wäre es leichter – ihn könnte ich einfach umbringen. Peng. Dann hätte Lily auch gleich was anderes als Hühnerfleisch zum Abendessen.
    Auf jeden Fall sind hier überall Bäume umgestürzt, und der Schlamm zerrt an meinen Gummistiefeln wie ein gierig saugendes Maul, das mich irgendwann bestimmt in den Abgrund reißen wird, aber einstweilen noch nicht. Mag sein, daß ich fünfundsiebzig bin und meine Schultern sich anfühlen, als wären sie mit Angelhaken an den Gelenken befestigt, aber die neue Niere, die sie mir eingesetzt haben, verrichtet ihre Klärfunktion ganz hervorragend, danke der Nachfrage, und ich kann immer noch besser arbeiten als die meisten der verzärtelten Halbidioten hier. Außerdem kann ich Dinge, die nicht jeder kann – ich bin ein Tierexperte, von denen sind heutzutage nicht mehr viele übrig, und Maclovio Pulchris, mein Chef, weiß das zu schätzen. Übrigens will ich hier nicht unnötig mit Namen um mich werfen, keineswegs – ich nenne nur die Fakten. Mir untersteht seine Privatmenagerie, die letzte dieser Art in unserem Teil der Welt, und es ist ein wichtiges – ich korrigiere: ein essentielles – Reservoir für das Zoocloning und die Verteilung dessen, was von den bekannten Säugetierarten noch geblieben ist. Und man kann sagen, was man will, über Popstars im allgemeinen oder die Qualität von Macs Musik im speziellen oder sogar darüber, wie es aussieht, wenn er seinen Hut und die Sonnenbrille abnimmt und man sehen kann, mit was für einer lächerlichen kleinen Quetschkartoffel von Kopf er gesegnet ist, aber eines sag ich euch: er ist ein echter Tierfreund.
    Allerdings wird von seiner Menagerie nicht allzuviel übrigbleiben, wenn dieses Wetter nicht nachläßt. Es ist nicht mal Regenzeit – oder was wir früher die Regenzeit genannt haben, als verstünden wir irgendwas davon –, trotzdem reihen sich über dem Pazifik die Gewitter wie Billardkugeln auf einem Pooltisch, und nirgends eine Tasche zum Einlochen. Vor zwei Tagen blies nachts ein starker Wind, der von einem der hinteren Gehege das Dach abriß und wie ein Riesenfrisbee in die Apartmentsiedlung Lupine Hill gegenüber krachen ließ. Mac war das eher egal – niemand ist heute noch gegen Wetterschäden versichert, Klagen vor Gericht werden automatisch abgewiesen, also was soll’s –, aber das Bittere daran war, daß der Patagonische Fuchs ausbüxen konnte, vermutlich das letzte in Freiheit geborene Exemplar seiner Art auf diesem abgewrackten Planeten, und bis jetzt haben wir das Vieh noch nicht wiedergefunden. Wie vom Erdboden verschluckt. Keine Spuren, gar nichts. Die Füchsin ist einfach weg, als hätte der Sturm sie mitgerissen wie Dorothy Gale und in irgendeinem Zauberland abgesetzt, wo die ausgestorbenen Fleischfresser aller Epochen zwischen Massen von gefesseltem Wildbret wahre Orgien feiern – oder aber mitten auf einer Schnellstraße, wo das Tier für den Durchschnittsfahrer wohl nichts als ein Hund auf Stelzen wäre. Und die Pangoline sind auch alle weg. Dabei gibt’s weltweit nicht mal mehr fünfzig dieser Schuppentiere. Es ist eine Schande, aber was soll man machen – den Suchdienst anrufen? Es hat uns alle hart getroffen. Überschwemmungen, Sturm, Donner und Blitz, sogar Hagel. Eine Menge Leute haben kein Dach mehr überm Kopf, und zwar hier bei uns in Santa Barbara County, nicht nur in Los Andiegoles oder San José Francisco.
    Jetzt aber Lily. Sie betrachtet mich lange aus ihren eidottergelben Augen, und ich bin froh, daß ich angesichts der Fleischsituation in letzter Zeit wenigstens Hühnerrücken habe, als das Bildtelefon läutet (man denke hier an Dick Tracy , denn inzwischen ist die ganze Welt ein Comic strip). Der Himmel ist schwarz – nicht grau, schwarz –,
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