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Der Wüstendoktor

Der Wüstendoktor

Titel: Der Wüstendoktor
Autoren: Heinz G. Konsalik
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1
    Zuerst schwankte die Frau ein wenig, griff sich mit beiden Händen ans Herz, taumelte gegen die Mauer, die einen Vorgarten von der Straße trennte, und blieb dann stehen.
    Sie trug ein weißes Kleid, mit großem rotem Mohn bedruckt, kurz und eng anliegend. Ihre langen schlanken Beine waren braun gebrannt. Ihr Gesicht war nicht erkennbar – eine Flut loser schwarzer Haare verdeckte es wie ein Schleier.
    Ettore Luca, der zufällig aus dem kleinen Zelt blickte, das die städtischen Kanalarbeiter über einen offenen Gully aufgebaut hatten, verschwand sofort wieder und stieß seinen Kollegen an, der gerade aus der Tiefe heraufkletterte, nach Kloake stinkend, einen Lötkolben unter dem Arm.
    »Draußen Frau …«, sagte Ettore und fuchtelte mit den Händen herum. »Steht an Mauer …«
    »Ihr habt wohl nur Weiber im Kopf, was?« Sepp Kranzler warf den Lötkolben weg und zeigte auf ein Seil, das im Gully verschwand. »Zieh den Eimer hoch, Itacker!«
    »Frau macht so …« Ettore Luca deutete ein Schwanken an und schob den Zelteingang auseinander. »Da – Frau krank …«
    »So'n Blödsinn!« Sepp Kranzler steckte den Kopf heraus und blickte über die Straße. »Tolle Puppe«, sagte er und kratzte sich den Kopf. »Aber krank ist die nicht. Betrunken ist se! Klar? Chianti gluck-gluck! Am hellichten Tag betrunken! Los, zieh den Eimer hoch! Mich ekeln betrunkene Frauen an.«
    Die Frau taumelte weiter, hielt sich an der Mauer fest und warf den Kopf in den Nacken. Sie riß den Mund weit auf wie eine Erstickende, knickte dann in den Beinen ein, drehte sich zeitlupenhaft und rutschte mit dem Rücken an der Mauer abwärts.
    »Sieh dir das an!« sagte Sepp Kranzler knirschend, als legte sich seine eigene Frau auf die Straße. »Randvoll!«
    Die Frau saß jetzt auf dem Asphalt und breitete die Arme aus, als wolle sie Himmel und Erde umfassen. Ihr Kopf fiel nach vorn auf die Brust. So blieb sie auf der Straße sitzen, mit geschlossenen Augen, fahler Blässe im Gesicht und einem verzerrten Mund, der sehr schön sein mußte, wenn er lächelte.
    Ettore kroch aus dem Zelt und lief zu ihr hinüber. Auch Sepp Kranzler machte sich auf, die Hände in den Taschen seines Arbeitsanzuges. Unlustig ging er dem Italiener nach. »Schieb se an die Mauer!« rief er von weitem, als Ettore die Frau erreicht hatte. »Mehr kannste doch nicht machen!«
    »Frau krank!« schrie Ettore. Er hatte den Kopf der Frau aufgerichtet und umfaßte jetzt den schlaffen Körper. »Nix Chianti. Frau weg …«
    Sepp Kranzler wurde flott. Er rannte über die Straße, kniete neben der Unbekannten, schnupperte an ihrem Mund und stellte fest, daß nicht der geringste Alkoholdunst zu riechen war. Die wächserne Blässe des schmalen Gesichtes und der kaum wahrnehmbare Atem deuteten auf eine Ohnmacht hin.
    Sepp Kranzler schüttelte die Frau, rief ein paarmal: »Hallo! Hallo!« und stützte ihren Körper, der immer wieder wegzurutschen drohte, Ettore half ihm dabei und begann dann, das Kleid über der Brust aufzuknöpfen.
    »Verdammt, laß das!« knurrte Sepp Kranzler. »Im Ausziehen seid ihr Weltmeister! Finger weg! Leg se mir auf die Schulter … nach vorn schieben … so ist's gut … festhalten!«
    Er stemmte sie hoch, legte beide Hände auf den Rücken der Frau, die jetzt über seiner linken Schulter hing, den Kopf nach vorn, schlaff wie eine Tote. Ettore hatte ihre Beine gefaßt.
    »Zu Dottore«, sagte er. »Schnell!«
    »Das ist gut gesagt. Wo ist hier der nächste?«
    Sepp Kranzler sah sich um. Die Villenstraße war still, leer, wie ausgestorben. Hier in Grünwald spielte sich das Leben hinter den hohen Mauern, Hecken und Zäunen ab, in den zur Straße hin verschlossen wirkenden Häusern, in den Gärten und Parks mit ihren Swimming-pools und weiten Rasenflächen, Springbrunnen und rosengesäumten Wegen. Ein Hundebellen kam vielleicht über die Mauern, ein Lachen. Irgendwelche verirrte Laute flatterten herüber. Die vornehme Stille war hier vollkommen.
    Sepp Kranzler marschierte los. Die Frau war nicht schwer, leichter als die Materialkiste, die er jeden Tag zum Werkwagen schleppte. Ihre langen schwarzen Haare wehten über sein Gesicht und kitzelten ihn in der Nase.
    »Das ist'n Ding!« sagte er, während er so schnell lief, wie es mit seiner Last möglich war. »Makkaroni – wir klingeln beim nächsten Haus und liefern sie ab! Die können dann einen Arzt anrufen …«
    Sie liefen an einem langen Garten vorbei zum nächsten Haus, als Ettore stehenblieb und Sepp fast
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