Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hacken

Hacken

Titel: Hacken
Autoren: Christoph Braun
Vom Netzwerk:
viel subversiver ging es kaum in einem Start-up jener Zeit mit seinem allmorgendlichen Vollkorn-Bio-Frucht-Frühstück. Einmal die Woche kam der mobile Masseur ins Büro.
     
    Erheiternd, wie sich hier ein ganzes Milieu kein bisschen von seinen eigenen Klischees unterschied. Ich bewunderte die Hacker, weil sie in der Lage waren, zu programmieren: die digitale Welt selbst zu gestalten und deren Erscheinungsformen hinterfragen zu können. Sie handelten damit gemäß des Kritikverständnisses des Philosophen Michel Foucault, für den Kritik bedeutete, »nicht so regiert zu werden«. Das hat meine Vorstellung vom Hacken geprägt.
     
    Auftritt Bianca:«Schon mal gehackt?«, fragt sie im Tonfall derjenigen, für die nur ein »Klar!« als Reaktion denkbar ist. Spielfreudig, hackfreudig blinzeln ihre Augen. Bianca die Gärtnerin, die in diesem Moment, nach Stunden der Grüne-Kiste-Aboverwaltung, sich nichts Schöneres vorstellen kann als den Boden umzuwühlen.
Back to the basics
. Wie ich lernen werde, zählt das Hacken zu den Grundtechniken des Gärtnerns überhaupt.
     
    »Schon mal gehackt?« Müde bin ich, kaum geschlafen habe ich, denn ich komme zurück von der Premierenparty des Theatertreffens in Berlin. Die Veranstalter hatten mich als DJ gebucht. Zum ersten Mal brütet die Hitze an diesem Tag im Mai des Jahres 2009 über dem Wolfenbütteler Land. Die Meisterin übergibt mir eine Pendelhacke. Sie besteht aus einem zwei Meter langen Stiel, an dessen unterem Ende sich ein zweischneidiges Messer horizontal ausrichtet.
     
    Gleich neben dem Folientunnel erstreckt sich das Zwiebelbeet über eine Länge von 50 Metern. Diese Oberfläche soll umgegraben und dadurch von Wildwuchs befreit werden. Bianca zeigt auf die höchstens drei Zentimeter hohen Pflänzchen. »Zwiebeln, okay?« Zwischen all dem Wildkraut jedoch sind die zarten Wesen für mich kaum auszumachen. Noch nie habe ich so junge Zwiebeln in einem Beet gesehen – und gehackt habe ich auch noch nie. Nach ersten Hackversuchen reagiert die Gärtnerin entsetzt. »Ich habe Angst. Angst um meine Zwiebeln.«
    POPJOURNALISMUS
    So viel zu lernen! Schließlich bin ich Popjournalist. Außerdem bin ich nicht auf dem Land groß geworden, sondern dort, wo Kohle und Stahl sich Gute Nacht sagten. In den 1980er-Jahren lag das Saarland inmitten einer Region voller Landesgrenzen. An den Grenzen zu Luxemburg und Frankreich wurden Pässe kontrolliert. Das Saarland war dicht, an seinen Markierungslinien ebenso wie am Boden, der durch die vielen Gruben und Kohlesiedlungen kaum noch eine freie Krume bot. Gute Konzerte gab es nur in Frankfurt am Main oder in Köln. Für ein gutes Konzert aber hätte ich zunächst einmal die Vorbedingung erfüllen müssen: Was ist ein gutes Konzert? An solche Informationen kam ich nicht heran, 25 Jahre vor unserer Gegenwart. Das Saarland war Endstation auch für Informationen. In den per Bus erreichbaren Kleinstädten Sulzbach an der Saar und Neunkirchen an der Blies bedeutete bereits das Lifestyle-Magazin
Tempo
ein Maximum an Underground, an Abgründigkeit. Die Musik darin jedoch war mir als Fünfzehnjährigem viel zu erwachsen. Sade, Pet Shop Boys, heute liebe ich sie, doch ich war auf der Suche nach meiner Musik, und ich fand keinen Weg dorthin.
     
    Die Rettung kam mit dem Text. Durch den Besuch einer Tanzschule ebnete sich mir der Weg nach Saarbrücken: Die totale Großstadt für jemanden, der in einer 15   000-Einwohner-Stadt im Grenzland aufgewachsen war. Ich war gehemmt, denn dieMädchen sprachen hier Hochdeutsch. In meiner Familie gab es ausschließlich Saarländisch zu hören, und selbst auf dem Gymnasium unterhielt man sich außerhalb des Frontalunterrichts in der Regionalsprache, sodass das Hochdeutsche ein Insignium der Weltgewandtheit bedeutete, ein Zeichen kultureller Überlegenheit schlechthin. Die Tanzschule bewirkte immerhin, dass ich mich ab und an in Saarbrücken aufhielt, in einem hübschen Cafe im Nauwieser Viertel. Dort tranken die Menschen Milchkaffee und setzten somit ein weiteres Signal der Weltläufigkeit. Kai, einer meiner Schul- und Tanzschulfreunde, ließ dort eines Tages eine Zeitschrift mitgehen. Ich bin sehr katholisch erzogen und fand es unmöglich, etwas zu klauen, was für die Allgemeinheit ausgelegt ist. Zumal Kai auch nur um des Klauens willen klaute: Die Band auf dem Cover dieses Musikmagazins, von dem ich ich zuvor noch nie gehört hatte, war total unbekannt. Die Sängerin trug Dreadlocks, die Band kam aus
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher