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Hacken

Hacken

Titel: Hacken
Autoren: Christoph Braun
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»Land« so hoch im Kurs steht. Immer neue TV-Formate um Bauern und Höfe entstehen. Und die mediale Erfolgsgeschichte im Print-Segment ist die des Magazins
LandLust
: Gegründet mit minimaler Startauflage von einem kleinen Verlag liegt die Auflage des zweimonatlich erscheinenden Magazins mittlerweile bei 850   000 Exemplaren, mehr als die beiden Tageszeitungen
Frankfurter Allgemeine Zeitung
und
Süddeutsche Zeitung
zusammen erreichen. Die großen Verlage kontern mit einer Fülle von »Land«-Magazinen voller hübscher Blumen. Es ist, als würde auf die Spekulationsblase mit einer Idyllenblase geantwortet. Einer Fantasie also, die ungefähr vor dem 2. Weltkrieg stehen geblieben ist. Immerhin zählen Traktoren heute schon zu den Kulissen des beschaulichen Lebens. Ein hochabstrakter Zugang zum Agrarboden durch Satellitentechnik oder die absurde Agrar-Gentechnik kommen in dieser Welt nicht vor. Lieber konstruieren die Idyllenmagazine eine Vorstellung vom Land, in der alles in Ordnung ist, die Sauberkeit sauber, die Zeit im Überschuss vorhanden. Dieses Bild gehört gehackt.

WÜSTES LAND
    Der Kombi läuft in Richtung Warler Salzwiesen, weiß der Wagen, weiß die Felder, sofern sie auszumachen sind. Soviel Schnee stapelt sich, hereingeweht von kalten Ostwinden aus hinter Moskau oder aus hinter Werchojansk. Der Sturm lässt Eisstaub auffliegen und feuert die Windräder an. Im Wagen tirilliert Maria Callas ihr »Si, mi chiamano Mimi« voller Hingabe. Inspiriert von Puccinis Power fräst sie Kanten in die Arie und gibt Charakterspitzen dazu. Es ist Winter, und Norbert und ich hören die größten Hits der Opernarie. Norbert liebt es laut. Schon im Frühjahr, als ich bei ihm und Bianca angefangen hatte, waren es beliebte Klaviersonaten der Romantik und Ludwig van Beethoven, die mich riefen: Norbert kommt. In seinem Wagen tönte MDR Figaro, und ich wusste, es ist Mittag. Denn wenn sein weißer 180er Benz von der Schafstour zurück schnurrte und sich die Tür öffnete, bliesen die »unvergessenen Momente« der Klassik den Pausenton. Ich musste los. Vielleicht noch schnell einen Salat aus der Reihe schneiden, in den Rucksack packen, wenn er denn überhaupt reinpasste, und ab aufs Fahrrad, zurück nach Evessen. Mascha aus dem Kindergarten holen.
     
    Norbert ist ein Freund Italiens und ein Freund der italienischen Oper, doch jetzt, an diesem sturmumtosten Januartag ist alles um uns her denkbar unitalienisch. Immerhin haben wir Spur gehalten, sind nicht stecken geblieben auf dem schneebedeckten und vereisten Feldweg, sind auch nicht in den drei Meter tiefen Graben gefallen.
Also raus in den Eiswind! Wir rollen die Heuballen aus dem blauen Anhänger und zerren und schleifen sie bis zur Schafsweide. Raus mit den Kartoffelsäcken, 25 kg das Stück, und schultern. Die Schafe stürmen heran. Schon lange, seit Ende November finden sie nichts mehr zu fressen auf ihrer Weide.
     
    Auf dem Heimweg beginnt es zu dämmern, der Diesel klappert, Domingo oder so jemand lullt mich ein, müde bin ich, müde und selig. Vor einem Jahr noch wies nichts darauf hin, dass ich je in meinem Leben einmal Schafe hüten würde. Mein Leben lang schreibe ich schon, Songtexte, Features, Porträts oder Essays. Die vergangenen fünfzehn Jahre habe ich damit verbracht, die Bands der Hamburger Schule zu interviewen, Lambchop über das Leben in Nashville zu befragen und mit dem Filmkomponisten Lalo Schiffrin eine Pfeife zu stopfen. Für Mainstream-Magazine, Bibeln der Popkultur und Tageszeitungen habe ich meine Tage im Sitzen verbracht, die längste Zeit davon in einem Gemeinschaftsatelier in Berlin-Kreuzberg. Für all das hat man mich vor drei Jahren mit einem Job geadelt, der zum ersten Mal seit dem Ghostwriten für MTV vernünftig bezahlt worden ist. Am Deutschen Theater in Berlin stelle ich DJ-Abende und Konzerte zusammen. Doch in diesem Frühjahr weiß ich schon, dass diese Zeit zu Ende gehen wird.
     
    In Eilum habe ich bei Leuten, die ich zufällig im Laden des Lindenhofs kennengelernt hatte, und die meinem Bild der klassischen Ökos entsprachen, die Dienstagabende verbracht. Denn Bianca und Norbert
luden jede Woche zum Filmabend ein. Im Winter war es dann immer deutlicher zu sehen: Bianca wird im Frühjahr ein Kind zur Welt bringen. Also fragte ich Norbert, ob er Hilfe gebrauchen könne. Weil ich neugierig darauf war, wie das ist in so einem Garten. Außerdem mochte ich den Gedanken, vor Ort etwas zu machen. Seit vier Jahren lebe ich bereits in Evessen,
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