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Hacken

Hacken

Titel: Hacken
Autoren: Christoph Braun
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in diesem hübschen Dorf im Hügelland Südostniedersachsens. Bisher habe ich die Feldmark durchstreift wie eine Kulisse. Das hat sich seit diesem Jahr geändert. Im Frühjahr fing es an, und jetzt ist es schon Winter geworden.
     
    Der Winter ist eigentlich die Zeit der Ruhe. Doch etwas zu tun gibt es immer. Wird der Boden so hart, dass er sich nicht mehr bearbeiten lässt, gilt es, Zäune zu flicken, nach den Heizungen zu schauen, Zimmer zu streichen. Im Sommer kommen die Eilumer zu diesen Erledigungen nicht. Nicht bei Athene Bio, dem Gemüse- und Obstbetrieb von Norbert und Bianca, und nicht auf dem Lindenhof, dem großen Biobauernhof. Einen Hühnerstall bauen, die Folien oder Gläser der Gewächshäuser wieder in Ordnung bringen, die Maschinen und Geräte pflegen. Dennoch, selbst Markus vom Lindenhof gönnt sich im Januar einen dreiwöchigen Urlaub. Norbert aber muss sich auch im Winter um seine Schafe kümmern. Kann das Gras sie nicht mehr ernähren, dann bedürfen sie sogar intensiver Pflege. Anders als im Sommer müssen die Coburger Fuchsschafe und die Weißen Hornlosen Heidschnucken bei Frost und Eis gefüttert werden. In diesem Winter ließ sich Norbert einen Leistenbruch operieren, was ihn für gut vier Wochen zu einer Pause zwang. Es ist nicht möglich,
sieben, acht Kartoffelsäcke von 25 kg das Stück aus dem Lager ins Auto zu hieven und auf den vier verschiedenen Weiden wieder heraus und dann zu den Schafen zu tragen, wenn der Rumpf lädiert ist. Am Sonntag wird es nur noch mit dem Traktor möglich sein, zu den Schafen zu gelangen. Daisy haben sie das Tief genannt, das muss Meteorologenhumor sein. Jedenfalls soll Daisy »ergiebige Niederschläge« mit sich bringen. So produktiv soll Daisy anrauschen, dass es für das ganze Land Unwetterwarnungen gibt. Auch für den Landkreis Wolfenbüttel. Die Streudienste sind in höchste Alarmbereitschaft versetzt, als hätten sie in den vergangenen Wochen nicht schon genug zu tun gehabt. Daisy, atemraubende Daisy.
     
    Sechs Stunden lang dreht sich heute alles wegen des bevorstehenden Schnees nur um die Schafe. Üblicherweise dauert es etwa zwei Stunden, die gesamte Schafstour zu fahren. Am Morgen werden sie mit Kartoffeln versorgt. Später gilt es, die fünf jüngsten Tiere von einer Streuobstwiese oberhalb Eilums in das Gewächshaus von Athene Bio zu transportieren. Irgendwann verkantet sich der Bizeps. An diesem Hang hier liegt der Schnee schon kniehoch. Das dritte Schaf, und sei es noch so klein, wird zum Gewicht.
     
    Danach sorgen wir für Heu. Vielleicht werden die Tiere in Warle am Wochenende nicht erreichbar sein. In Dettum, wo Norbert sein Heu üblicherweise holt, herrscht schon Notstand wegen des ungewöhnlich schneereichen Winters. Ein Bauer in Winnigstedt, der sein Brot als Angestellter der Telekom verdient, verkauft noch Ballen.
Das 800-Einwohner-Dorf östlich von Schöppenstedt verfügt über einen Blumenladen, einen Kiosk, einen Edeka-Markt und sogar über eine Filiale der Deutschen Post. Ungewöhnlich viele Geschäfte für einen Ort dieser Größe. Winnigstedt liegt noch in Niedersachsen und grenzt direkt an Sachsen-Anhalt. Um in den Genuss von Westgehältern zu kommen, zogen die Leute nach dem Ende der DDR hierher. Norbert erzählt, nach der Wiedervereinigung sei Winnigstedt für einen Moment aufgeblüht. Längst aber ist dieser Boom vorbei. Spätestens in Schöppenstedt beginnt strukturschwaches Gebiet. Zu Zeiten der deutschen Teilung war das Wolfenbütteler Land sogenanntes Zonenrandgebiet, da gab es extra Fördergelder für die Wirtschaft. Bis ein Jahr nach dem Mauerfall. Mein Vermieter hat diese Chance noch genutzt. Sein Haus steht in Evessen, ein Vierkanthof, Fachwerk.
     
    Im Frühling blüht hier die Blutbuche, im Sommer findet der Hof keine Ruhe vor quietschenden Kindern, im Herbst detschen die Renekloden vom Baum auf die Autodächer, und jetzt ist es Winter, alles weiß.

GEFLASHT
    In dem Moment, da Bianca mir die Pendelhacke überreicht, nützt mir weder meine Popsozialisation etwas, noch der technologische Fortschritt. Zunächst benötige ich keinen großen Kraftaufwand dafür, die Hacke zu schwingen. Grob geschätzt wiegt das Gerät knapp ein Kilo, Metallklinge samt Holzstiel. Einen ganzen Vormittag lang durch die Braunerde zu graben, hin und her, Schritt für Schritt, Beet rauf, Beet runter, das macht aus einem solchen Gewicht bald schon einen Brocken. Dennoch entschädigt das, was beim Hacken passiert, die Mühen mehrfach. Nach
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