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Hacken

Hacken

Titel: Hacken
Autoren: Christoph Braun
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aber: Ich habe gelernt, mich dem Lebendigen zu nähern. Ich habe gelernt, es zu beobachten und zu reflektieren. Ich habe gelernt, es schreibend zu feiern. Das Dokumentieren dieses Lernens begann unmittelbar nach den ersten Wochen im Eilumer Garten, so groß ist meine Zuversicht gewesen, dass diese Kicks in mir etwas bewegen. Literarisch sollte diese Dokumentation ausfallen, nicht einfach nur dokumentierend; damit ich dieses Sich-Annähern verstärken kann, damit ich übertreiben darf. So ist der Blog »Hacken« entstanden, als ein Ort, der wächst, der sich aktualisiert.
    PFLANZEN ESSEN
    Das Hackenlernen barg eine Überraschung in sich: wie stark sich die Pflanzen vermitteln in ihrer Existenz, in ihrer Präsenz sogar. Ob Purpurner Sonnenhut, Hokkaido-Kürbis oder Himbeere, die Pflanzen leben und sie lassen mich das spüren, wennich im Garten bei ihnen bin. Es ist einfach nur eine andere Art des Daseins, vergleiche ich sie mit jener der Tiere. Pflanzen benutzen keine Worte, dafür sehr entschiedene Gerüche, Formen, Farben, Arten und Weisen, sich vom Wind anwehen, sich beregnen, von der Sonne bescheinen zu lassen. In den Mythologien und Religionen der Welt tauchen überall diese Wesen auf, die sich um Pflanzen kümmern. Die Pflanzendevas des Sanskrit haben die Aufgabe, Blumen und Kräuter und Gemüse und Bäume zu beschützen. Die Elfen der nordeuropäischen Sagenwelt erscheinen hingegen wie eine Hilfe, die Pflanzen sichtbar zu machen, mit ihnen zu kommunizieren – Übersetzergestalten, Vermittlerinnen.
     
    Im Garten bin ich den Pflanzen nahe und merke, sie sind Lebewesen genau wie ich. Es ist nicht wichtig, ob sie Schmerz empfinden können, wie es in der Debatte um den Fleischkonsum immer wieder betont wird. Sie sind Lebewesen. Deshalb muss ich ihre Würde ebenso respektieren wie die aller Tiere und aller Menschen. Streng moralisch betrachtet ist Pflanzenessen deshalb ebenso verwerflich wie das Verspeisen von Tieren. Ich esse ein Lebewesen. Ich muss es vorher töten.
     
    Dennoch gibt es politische Gründe, viele, viele, viele Gründe, keine Tiere zu essen oder sich zumindest genau darüber zu informieren: Woher stammt das Fleisch. Unter welchen Umständen wurden die Tiere gehalten. Besonders der wahnwitzigeEnergieaufwand ist es, der gegen die Tierhaltung spricht: Je nachdem, ob es sich um Schweine, Rinder, Schafe oder Ziegen handelt, werden sieben bis sechzehn Kilogramm Getreide für nur ein Kilogramm Fleisch aus der Züchtung benötigt. Zudem erlegen die Gepflogenheiten der Massentierhaltung den Lebewesen eine Existenzweise auf, die nur als Darben bezeichnet werden kann.
     
    Ich bringe den Müll raus, laufe runter ins Dorf zur Elmbäckerei, und hebe dabei mehrmals die rechte Hand. Die Einkäufe muss ich immer im Rucksack tragen oder auf der linken Seite. Die rechte Hand muss frei bleiben zum Grüßen. Das ist eine heilige Notwendigkeit. Nicht nur einmal hebe ich die Hand und nicht zweimal. Für jedes Auto, jeden Traktor, jeden Postboten, den Hermes-Versand. Ach, der. Neu im Spiel ist nämlich der UPS-Fahrer und muss mir erst noch ein paar Päckchen bringen, bis er mein Gesicht erkennt. Da sucht sich schon die Linie 730 von Schöppenstedt nach Braunschweig ihren Weg durch die schmalen Straßen. Durch Evessen zu gehen bedeutet, die Hand zu heben. Hallo Frau Krüger von der Gärtnerei, hallo Herr Bürgermeister, kurzes Zunicken Herrn Wolf von der CDU. Frau Halbhuber. Das Handheben ist eine warmherzige, demokratische Geste.
     
    Hier, wo so viele Menschen direkt oder indirekt von der Landwirtschaft leben, prallen die Meinungen zwar aufeinander. Im Unterschied zur Großstadt aber wird jede politische Einstellungmit jenen der Nachbarn ganz unmittelbar konfrontiert. Norbert isst kein Fleisch, aber lässt seine Schafe schlachten. Ich esse Fisch, jedoch kein Fleisch. Bianca isst nicht einmal Honig, überhaupt keine Tierprodukte. Allen die Hand.

WHITE CUBE
    Der Wind brandet scharf aus Osten an. Störungsfrei operiert es, das Programm der Natur, der Code. Es ist Februar. Vor einer Woche war die Gegend noch ein weißer Würfel. Weiß mal weiß mal weiß mal weiß.
     
    Einen Soundtrack hatte ich eigens dazu ausgewählt, diese Leere zu besingen. In den Wochen voller Schnee, der Zeit und um das Wintertief Daisy, gab es für mich nichts Anderes zu hören als
The Depths.
Das ist ein aus zehn Stücken zusammengesetztes Techno-Album von Jeremy Jacobs, der sich JPLS nennt. Die Tracks auf
The Depths
schwingen in ihrer
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