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Hacken

Hacken

Titel: Hacken
Autoren: Christoph Braun
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Tomaten sind: Es wäre ein Anfang. Himbeeren gehören natürlich dazu.
    DIE PRACHT UND DIE STOFFWECHSELMASCHINE
    Einen neuen Blick auf die Musik richten können, sie unter neuen Bedingungen wieder hören, wieder erleben können: Das war die Hoffnung, die ich an den Weggang aus Berlin knüpfte. Zu sehen, wie tatsächlich auf dem Land gelebt wird, gehörte zu diesem Wunsch. Er hat sich erfüllt. Die Musik kommt nun vor allem über das Internet zu mir, und ich rede und schreibe und diskutiere darüber im Netz. Ich habe festgestellt, dass noch die avancierteste Clubmusik auch hier ihren Resonanzraum findet. Im Einzelhörraum, mit Blick über die Felder und mehrkanaligen Feedback-Möglichkeiten in die Welt hinein. Hier ist die Welt. Sie kommt an und geht weg, sie aktualisiert sich permanent in der digitalen Wolke über Evessen.
     
    Doch mit den ersten Versuchen im Garten von Athene Bio ist so viel mehr passiert als ein Perspektivwechsel von der Stadt auf das Land. Leben ist passiert, oder besser noch: Das Lebendige hat sich mir in ungeahnten Fassetten offenbart. Schreiben und Landarbeit,so lautet meine Arbeitsteilung nun. Das Lebendige umfasst beide Züge meines Tuns. Zum einen die Unmittelbarkeit der direkten Umgebung, die Nachbarn und die Freunde in Evessen, die Pflanzen in den Eilumer Gärten. Die Wucht, der Farbenreichtum jedes Lebewesens, jedes Würmchens, jeder Knolle. Auch die Vielfalt des Lebens, oder, in einer ästhetischen Kategorie gesprochen: die Pracht. Die Hummeln auf dem Purpurnen Sonnenhut im Garten von Athene Bio, wie sie sich in Strahlen wiegen und aufheizen. Wie die Erde riecht und wie sich dieser Geruch verändern kann, wenn die Sonne tagelang scheint oder wenn es mit einem Mal heftig zu regnen beginnt. Das Schwitzen beim Angießen und das Frösteln in der Kartoffelscheune im Winter. Zu merken, wie mein Körper reagiert, wenn er in den Gärten arbeitet und auf den Feldern. Muskeln, die zeitweise über Wochen beansprucht werden; Muskeln die wachsen und wieder schrumpfen und wieder wachsen.
     
    Es fügt sich ein in meine Welt. In der griechischen Antike ist »Natur« vor allem das Wachsende, wie ich bei Hannes Böhringer erfahren durfte. Schlicht »Natur« lautet der Titel des ebenso kunstvoll wie nüchtern geschriebenen Aufsatzes des in Braunschweig lehrenden Philosophen über die Verwendung dieses Begriffs im antiken Griechenland
:
»Hermes zeigt Odysseus den Wuchs, …, ihre physis, ihre Natur. Mit Hilfe des Krautes, das Hermes aus der Erde gezogen hat, widersteht Odysseus den Zauberkünsten der Kirke.« Jene Idee von Natur als dem Wachsenden ist es, die in der Gegenwart immer noch Geltung besitzt. Auch wenn jeneGegenwart längst in der Lage ist, die Erbanlagen alles Wachsenden zu manipulieren, seien es Pflanzen, Menschen, oder Tiere: Dieses Wachsen ist, wovon ich abhängig bin. Vom Lauf der Jahreszeiten, von der Folge der Temperaturen und Niederschläge, von der Saat über die Blüte bis hin zur Ernte. Ich brauche das Leben für meinen Körper als Stoffwechselmaschine, und ich brauche das Lebendige, die Pracht, für meine Ich-Maschine.
     
    Wenn die Schriftstellerin Monika Rinck in ihrem Essay
Ah, das Love-Ding!
ihren Freundeskreis als dauerkommunizierende, bewegliche Horde beschreibt; wenn sich die Silhouetten des Modedesigners Yoji Yamamoto je nach Licht und gesellschaftlichem Zusammenhang ihres Zurschaustellens neu zu konfigurieren scheinen. Wenn sich sein Antwerpener Kollege Walter van Beirendonck in seinen Entwürfen über die Umstände der High Fashion lustig macht und wenn der Mischkonsolenkünstler Zomby ein fein gesponnenes Netz aus Synthesizertönen über ein festes Bassgerüst auswirft, dann finde ich darin eine Ästhetik des Wachsens.
     
    Das Lebendige markiert die Grenze zum Tod. Ich kann mich ihm nähern, doch erleben will ich ihn nicht, weil ich nicht weiß, was passiert, wenn ich tot bin. Die Kunst des Lebendigen feiert Mannigfaltiges, liebt Kaleidoskope und das ewig sich Wandelnde. Die Lichtspiele James Turrells und die Schiefer-Metaphorik Anselm Kiefers, die Wahrnehmungsunterhaltungen Olafur Eliassons belegen das.
     
    Ich habe etwas gelernt. Da ist zunächst all das Nützliche: Was darf ich nicht umhauen beim Hacken, wie gieße ich Kohlpflanzen an, wo packe ich ein Schaf, um es zum Wollscherer zu bringen. Wollte ich zu Beginn nur sehen, etwa wo die Kartoffeln wachsen, greife ich nun selbst ein. Denn für meine Vorstellung von Autarkie muss ich all das wissen.
     
    Vor allem
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