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Hacken

Hacken

Titel: Hacken
Autoren: Christoph Braun
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die Vorarbeit geleistet. Von Oktober an treffe ich dienstags Markus, Alex und Dagmar, und wir stellen uns ans laufende Band, nach Drycore-Bohrlöchern Ausschau halten im Millisekundentakt, und nach blauen Stellen.
Agria, Laura und Ditta werden auf Marktfähigkeit geprüft, dann in die Säcke verpackt: 2,5 kg, 5 kg, 12,5 kg und 25 kg.
     
    Den Sommer über genießt man vom Berkelmannhof in Hachum aus eine gute Aussicht in Richtung Asse und Harz. Jetzt, wenn die neue Ernte sortiert wird, verabschiedet sich der Brocken mit seinen Abhöranlagen in die Winterpause. Von November bis April ist er selten zu sehen. Die Nebel ziehen auf.

ANHEUERN
    Bassmusik in Evessen hören also: Die Zeit der Party-Pop-Hits im Theater ebbt ab. Eine neue Geschichte beginnt. Mein Pendeln will im Sommer enden. Der Bedarf an Berlin ist endgültig gedeckt. Da treffe ich eines Morgens Norbert im Eilumer Hofladen. An diesem Tag im März wird der Frühling eher erwartet, als dass er in Sicht ist. Die Kälte hat Norberts Gesicht und Hände rot angemalt, und seinen Leib versteckt er unter einem dicken, festen Wollpullover in Grau. Ohne mich schon mit System mit meiner Zeit nach dem Sommer auseinandergesetzt zu haben, frage ich ihn, ob er und Bianca für ihren Gartenbetrieb Hilfe gebrauchen können. Norbert lässt die Frage in sein Gesicht treffen, wo sie Denkrunzeln aufwirft. Ja, ja, schon. Das Kind komme ja bald. Er melde sich.
     
    Im Mai bin ich noch einmal viel gefragt als DJ in der Hauptstadt. Vor allem ein großes Theaterfestival überlässt mir zahlreiche Partytermine, der Monat wird gut voll, denke ich Ende April. Anruf Norbert. Die Erwartungen an das Helfen im Garten stecke ich selbst sehr hoch. Es ist der richtige Augenblick, vielleicht sogar überfällig, und doch: Der erste Tag in Eilum wird ein Vergnügen. Zwar habe ich wegen des Auflegens wenig geschlafen, doch es ist ein Samstag. An diesen Tagen bin ich es schon gewohnt, weniger zu schlafen, von der alten Berlinzeit, von der Zeit am Theater. Und die Sonne jubiliert. Am Ende der Stichstraße liegt der Garten von Athene Bio und erwartet mich, ganz grün und still, vielgrüner, als ich es mir vorgestellt habe. Es ist der heiße Anfang eines heißen Mais, hier könnten Blumen knallen und Leuchtfeuer sprühen. Soweit ist es noch nicht! Stattdessen Variationen von Grün. Der Novize öffnet die Tür zum green room und sagt: Ich bin der Novize. Jetzt fangt doch schon an. Es bleibt mir keine Zeit, mich weihevoll zu fühlen.
     
    Der Takt der Gartenarbeit steht dem einer Autozubehörfabrik in nichts nach. Ich habe jahrelang in den Schul- und Uni-Ferien am Fließband gestanden, bis ich träumte, ich sei so ein Federmechanikwesen. Meine Mutter hat diese Arbeit jahrelang verrichtet. Mengenmachen. Eine Arbeitswelt, in der draußen ist, wer das Akkordtempo nicht mitgehen mag. Eines der großen Themen des Medienmarktes der vergangenen Jahre ist der Erfolg der Zeitschrift
LandLust
gewesen. Das Land wird in derlei Schriften entworfen als der Ort, an dem nichts sich jemals ändern soll. Die Sehnsucht nach dem Land wird mit religiösen Motiven aufgeladen, mit Paradiesen. Nur ist das Land längst nicht mehr der Ort, wo sich nichts jemals ändert. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Landwirtschaft konfrontiert gesehen mit tiefgreifenden Veränderungen. Sie haben die Gestalt der Landschaft im agrikulturell geprägten Raum in starkem Maße verändert. Auch das Leben der Landwirte und Bauern hat sich gewandelt. Mit der Industrialisierung tauchten die großen Landmaschinen auf, und mit ihnen wuchsen die Parzellen, die ein Bauer zu bestellen vermochte. Darauf folgte die chemische Aufrüstung, das Düngenmit Substraten. Auch als Gegenreaktion tauchte in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg allmählich die ökologische Landwirtschaft auf. Sie sollte keineswegs die letzte prägende Kraft auf dem Land werden. Die sogenannte grüne Gentechnik spaltet die Lager in Europa, und schließlich kam die Informatisierung der Landwirtschaft auf. All diese Evolutionsschübe haben stets neue Landschaften geschaffen. Durch das 20. Jahrhundert hindurch hat das Land seine Oberflächen ebenso kontinuierlich verändert wie die europäischen Großstädte Paris oder London.
     
    Dieses Land hier ist also ganz bestimmt nicht das Unabänderliche. So besteht die erfolgsversprechende Arbeit eines Magazins wie
LandLust
also im Unkenntlichmachen der Konflikte, die aus den ständigen Innovationsschüben in der Landwirtschaft folgen.
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