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Saigon - Berlin Thriller

Titel: Saigon - Berlin Thriller
Autoren: Hef Buthe
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ERSTES KAPITEL
 
    B ERLIN , 26. D EZEMBER 1989
 
    Mein Gefühl warnte mit Sodbrennen. Auch dieser Tag konnte nicht gut gehen. Langsam rollte ich über die Bösebrücke dem Grenzübergang Bornholmer Straße in Ostberlin entgegen. Mit einem Leihwagen der Mercedes-Klasse. War der Name der Brücke schon das Omen?
    Die Grenzübergänge der Deutschen Demokratischen Volksrepublik, im Westjargon kurz »DDR« genannt, waren seit wenigen Tagen für den Reiseverkehr in jeder Richtung offen. Sagte die Presse. Hoffentlich wusste das auch die Gegenseite. Da war ich mir nicht sicher.
    Die entgegenkommenden Trabbis mit ihren knatternden Zweitaktmotoren wirkten etwas beruhigend. »Diedadrüben«, wie wir im Westen die Ostdeutschen flapsig nannten, schienen es wahr gemacht zu haben. Die Mauer hatte Löcher, gewaltige Löcher bekommen. Und ich steuerte auf eines davon zu. Nur die Richtung stimmte nicht. Alles verließ den Staat, und ich wollte hinein. Hinein wegen meiner Vergangenheit. Zurück wegen einer dubiosen Information, der ich keinerlei Wert beigemessen hätte, wenn das Problem nicht vor neunzehn Jahren entstanden wäre. Am 26. Dezember 1970.
    Dieser Termin war freilich etwas schwammig; es hätte auch ein paar Tage vorher oder nachher sein können. Das war jetzt aber egal. Der Termin hatte mich eingeholt. Und heute war wieder der sechsundzwanzigste Dezember.
    Das Wetter wurde immer schlechter. Regen mischte sich mit Schnee. Das Bordsystem blinkte. Es gab über den Außenfühler dieses Luxuswagens Alarm vor Straßenglätte.
    Die Blinkleuchte war aber auch das Einzige, das etwas Farbe in den Tag und in meine Laune brachte.
    Der stärker werdende Schneefall verstärkte den Eindruck der tristen Betonklötze, die sich dieser marode Staat um seine Grenzen gebaut hatte. Panzersperren, die es in langsamem Tempo zu umrunden galt. Sie kamen mir wie der sinnlose Versuch an der Küste der Normandie vor, die Invasion der Alliierten aufzuhalten. Vergeudung von Volksvermögen in Form von Stahl und Beton. Nun waren diese Sperren nutzlos und zu einem bösen Witz geworden. Zille hätte seine zynische Freude daran gehabt. Aber niemand schien sie entfernen zu wollen.
    Genauso sinnlos kam mir der Grenzer vor, der sich die Füße in seinen Stiefeln warm zu treten versuchte.
    »Papiere!«
    Ein »Bitte« war von dem Mann nicht zu erwarten. Das war Kasernenhofton. Von oben nach unten. Ich ließ das Fenster nur einen Spalt herunter und reichte ihm meinen Pass. Der Kerl hatte sich schon jetzt mit seinem Ton meine ungeteilte Abneigung gesichert. Gegen alles, was Uniform trug und mich unfreundlich behandelte, war ich inzwischen allergisch. Wenn du aus einem Rindviech ein gehorsames Werkzeug machen willst, steck es in eine Uniform, das war der Spruch meiner Großmutter. Und die war Jahrgang achtzehnhundert-und-was-weiß-ich.
    Die schmelzenden Schneeflocken tropften von seinem Mützenschirm in mein Dokument. Sie würden die Visa-Einträge, Zeitzeugen meiner Tätigkeit, aufweichen und damit unleserlich machen. Von Asien über die USA und Russland war alles dabei, sich in Tintenkleckse zu verwandeln. Der Ärger mit anderen Grenzkontrollen war vorprogrammiert.
    »Was wollen Sie von mir? Visum und Zwangsumtausch sind doch seit dem 24.12. abgeschafft. Was steht ihr hier überhaupt noch rum?« Ich wurde wütend und versuchte dem Mann meinen Pass zu entreißen. Er zog ihn weg und sah mich mit einer Mischung aus Verbitterung und Entrüstung an.
    »Ich habe noch keine Dienstanweisung. Solange bleibt es, wie es ist.« Die Marionette in Grün zog die Mütze tiefer ins Gesicht. »Sie steigen jetzt mal schön aus und folgen mir. Wenn Sie Ärger machen, dann ...« Seine rechte Hand fuhr an das Pistolenkoppel.
    Alles hatte sich geändert. In der Presse. Die Grenzen zur DDR waren offen, hatten wir alle stolz verkündet. Tausende von Bürgern dieses Staates hatten es in den letzten Tagen ausgenutzt. Dass ein »Wessi« wie ich hineinwollte, schien in diese Holzköpfe nicht hineinzugehen. Wieder ein Staatsfeind. Nun reisten sie schon offiziell in einer hochkapitalistischen Karosse ein.
    »Aussteigen, sagte ich«, wiederholte sich der Mann. Er wurde nervös. Es war wohl besser, seiner Anweisung zu folgen. Die Idee, nach seinem Namen und Dienstgrad für eine Beschwerde zu fragen, verwarf ich. Mein Problem war ein ganz anderes. Und dazu benötigte ich die Staatsmacht in diesem Ghetto mit Löchern vielleicht noch.
    »Da rein«, deutete er auf ein lang gestrecktes Gebäude, von
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