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Saigon - Berlin Thriller

Titel: Saigon - Berlin Thriller
Autoren: Hef Buthe
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schleppte einen hundert Kilo schweren, betrunkenen Mann hinauf. Wuchtete ihn unsanft in die Badewanne. Die starrte vor Dreck. Wie die ganze Wohnung, wie ich flüchtig wahrnahm. Hier würde ich nicht übernachten. Da war ich mir sicher. Und wenn ich die Nacht noch in den Westen zurückmusste, um mir die Nervenprobe des Grenzübergangs morgen noch mal anzutun.
    »Wie viele Geschwister hast du? Wie alt bist du?« Es war wieder einmal ein Versuch an den jungen Mann zu kommen. Asiaten liebten es, erst über ihre Familie zu sprechen.
    Phong sprang vor mir die Stufen hinab.
    »Alter? Hai muoi ba.« Also dreiundzwanzig. »Geschwister? Vier ältere Brüder. Die sind im Krieg alle umgekommen. Danach hat meine Mutter wieder geheiratet. Seither kommen nur noch Schwestern. Drei. Zwei studieren in der DDR. So, wie ich. Und wie alt bist du?«
    Dazu sagte ich besser nichts.
    »Frau Olga. Jupp ist da, wohin Sie ihn haben wollten.«
    Olga nickte. Sie hatte aufgeräumt und die Außenbeleuchtung ausgeschaltet.
    »Nehmt das. Ist nur eine Kleinigkeit. Das konnte ich heute nicht verkaufen.« Sie drückte uns zwei braune Tüten in die Hand und weinte. Es war ein leises, bebendes Weinen. Sie hätte wohl lieber geschrien. Aber das schien man den alten Menschen in diesem diktatorischen System ausgetrieben zu haben.
    »Junge, zeige diesem Westler den Weg. Er sucht die Kneipe Zum Jahnstadion. Du wohnst doch da in der Nähe. Machst du das?«
    Phong sah kurz in die Tüte. Ich roch, was darin war. Warme Buletten und kalte Bratwürstchen. Oder umgekehrt.
 
    Ohne weitere Regungen hatte Phong sein Auto umgeparkt und sich dann auf den Beifahrersitz des Mercedes geschwungen. Wie ich Asiaten kannte, war es sinnlos zu fragen, warum er seinen vergammelten Lieferwagen einfach hier stehen ließ. Er würde ihn sich schon wiederholen, wenn er ihn brauchte.
    Mit knappen Kommentaren dirigierte er mich durch die verschneiten Straßen. Hier würde ich allein nie wieder rausfinden. Kaum Spuren von Fahrzeugen im Scheinwerferlicht. Die geringe Straßenbeleuchtung drang kaum bis zum Boden.
    »Das meinst du doch nicht ernst, dass ich einen deiner Familie getötet haben könnte?« Ich war jetzt endgültig vom Sie auf das Du übergegangen. Die vietnamesische Sprache kannte kein Sie. Der Angesprochene definierte sich aus dem Zusammenhang und der Stimmlage des Sprechenden.
    »Im Krieg hat jeder jeden umgebracht. Auch wenn er es nicht selbst war. Es war alles Mord, der andere wieder zum Mord animiert hat. Somit sind alle schuldig.«
    Der junge Mann begann mir zu gefallen. Er war in dem Alter in eine kalte, fremde Welt zum Studieren gegangen, in dem ich in eine warme, fremde Welt als Reporter gezogen war. Unbedarft. Unzufrieden mit allem, gegen alles, aber süchtig, mich als Weltverbesserer beweisen zu können.
    »Beruhigt es dich, dass ich fast sieben Monate in einem Lager des Vietcongs verbringen durfte? Als Reporter, der nur über die Unmenschlichkeiten in eurem, in deinem Land berichtet hatte? Meine Kollegen und ich haben dafür gesorgt, dass die Öffentlichkeit informiert wurde, dass dieser Krieg sinnlos war. So wie alle Kriege sinnlos sind. Durch uns hattet ihr die Jugend der ganzen Welt auf eurer Seite. Sonst hätten euch die Amis doch noch in die Steinzeit gebombt.«
    Phong suchte sich einen anderen Sender im Autoradio. Er verstand. Ich kannte sein Land. Aber er würde niemals eine Regung von sich geben, wie ich sie gerade provoziert hatte.
    »Wir sind da. Dort drüben ist das Lokal.«
    Durch das Schneetreiben leuchtete eine Reklame, der ein paar Glühbirnen ausgegangen waren. »-um Ja-----dion« war noch vom eigentlichen Namen zu entziffern. Phong machte keine Anstalten auszusteigen.
    »Wie heißt deine Tochter? Wie kann man sie erkennen? Wie alt? Hat sie besondere Kennzeichen? Sonst kann ich sie nicht finden.« Er lehnte den Kopf an die Scheibe, als wolle er sich zum Schlafen legen.
    Ich legte meinen Kopf auf das Lenkrad. Atmete tief durch. Phongs Fragen hatte ich nicht erwartet. Er hatte meine Situation schneller umgesetzt, als ich das hätte erhoffen können. Erhoffen von einem noch sehr jungen Mann.
    »The-Maria Chu-Stösser, geboren im Dezember 1969«, mehr konnte ich nicht sagen. »Wie sie aussieht, weiß ich nicht.«
    Was ich als meine Tochter bezeichnete, war eigentlich ein Bastard. Eine Mischung verschiedener Kulturen, die aus einer Notgemeinschaft entstanden war. Ich hatte mich nie um sie kümmern können so wie ein Vater, der von der Arbeit nach Hause
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