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Die Frauen von Clare Valley

Die Frauen von Clare Valley

Titel: Die Frauen von Clare Valley
Autoren: Monica McInerney
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Kapitel 1
    Nun lebte sie seit über sechzig Jahren in Australien, und Lola Quinlan, stolze vierundachtzig, hatte sich noch immer nicht an heiße Weihnachten gewöhnt. In Irland, ihrer Heimat, waren diese Tage dunkel und winterlich, die Dämmerung kam um vier Uhr nachmittags. Weihnachten, das hieß Kaminfeuer und Spaziergänge durch die Kälte. Und mit etwas Glück sogar Schnee. Lolas Mutter hatte mit Hingabe weihnachtliche Traditionen gepflegt, die überwiegend noch von ihrer Mutter stammten. Der Baum wurde eine Woche vor Weihnachten geschmückt, nicht einen Tag früher oder später. Heiligabend ging es in die Christmette, davor gab es in der kalten Kirche Weihnachtslieder. Der schönste Brauch für Lola aber war, an Heiligabend in allen Fenstern brennende Kerzen aufzustellen. Es war ein symbolisches Willkommen für Maria und Josef und zugleich eine Botschaft an jeden Fremden, dass auch er geladen wäre. Als Kind hatte Lola ihre Eltern immer angefleht, lasst mich die Kerzen anzünden , und dann achtsam die Vorhänge beiseitegezogen, damit sie kein Feuer fingen. Im Anschluss war Lola mit ihren Eltern nach draußen gegangen, und durch drei Frostwolken hindurch hatten sie auf ihr zweigeschossiges Haus geblickt, das in diesem Moment wie verzaubert schien.
    Nun war sie weit von Irland und seinen dunklen, eisigen Dezembern entfernt. Sechzehntausend Kilometer, um genau zu sein. Die Temperatur im südaustralischen Clare Valley näherte sich schon der 40-Grad-Marke, dabei war es noch nicht einmal zehn Uhr. Die fernen Hügel hinter dem Fenster waren gelb, von der Sonne verdörrt, nirgends regte sich ein grünes Hälmchen. Und nirgends erklangen Weihnachtslieder oder Schlittenglocken. Nur die Klimaanlage summte. Wenn Lola hier Kerzen angezündet und in die Fenster gestellt hätte, wäre augenblicklich die Feuerwehr herangebraust mit Blaulicht, Sirene und Wasser marsch! Nach jüngster Zählung kam das Valley View Motel, das Lola ihr Zuhause nannte, auf mehr als sechzig Fenster. Das wäre schon toll, dachte Lola. Sechzig brennende Kerzen! Sicher ein überwältigender Anblick. Das wäre den Ärger beinahe wert …
    »Heckst du wieder etwas aus? Diesen Gesichtsausdruck kenne ich doch.«
    Beim Klang der vertrauten Stimme ihres Sohns hob Lola den Kopf und lächelte. »Ich würde nicht einmal im Traum daran denken. Du weißt doch, ich bin das reinste Unschuldslamm.«
    Jim zog bloß eine Augenbraue hoch und setzte sich seiner Mutter gegenüber an den Esstisch. »Ich hab heute noch einmal mit Bett und Carrie gesprochen. Wir sind uns darin einig, dass du dich noch immer umentscheiden kannst.«
    »Wobei? Bei meiner Essenswahl? Es ist Freitag, da esse ich immer Fisch.« Auch dies war eine Tradition aus Irland, obwohl Lola dem Katholizismus schon lange abgeschworen hatte.
    »Bei deiner fixen Idee, uns fortzuschicken und dich fünf Tage lang allein um das Motel zu kümmern. Um fünfzehn Zimmer. Über Weihnachten. Mit vierundachtzig Jahren.«
    »Aus deinem Mund klingt das, als wäre ich irre.«
    »Du solltest dich mal hören.«
    Lola stand auf, griff nach ihrem Stock, richtete sich auf und funkelte ihren vierundsechzigjährigen Sohn an. Als Kind hatte ihn das eingeschüchtert, doch diese Wirkung blieb seit Jahren aus. Eine Weile versuchten beide, sich mit Blicken zu bezwingen, dann lachte Lola. »Natürlich bin ich irre, Darling. Nur, wer nicht ganz bei Trost ist, lebt so lange wie ich. Wozu auch? Die Hüfte streikt, das Gehör lässt nach, der Verstand sowieso.«
    »Du gibst es also zu? Soll ich die Reise lieber absagen? Und auch Bett und Carrie darum bitten? Ihnen sagen, dass du nicht Herrin deiner Sinne warst und nicht wusstest, was du tust?«
    »Wie bitte? Soll ich dir und Geraldine den Spaß verderben? Meinen armen, wundervollen Enkelinnen und ihren noch viel wundervolleren Kindern auch, ganz zu schweigen von ihren attraktiven Männern und den Familien ihrer attraktiven Männer? Niemals. Meinetwegen könnt ihr auf der Stelle fahren. Hinfort mit euch! Gönnt einer alten Dame doch ein wenig Ruhe. Vor euch.«
    »Aber genau das macht mir Sorgen. Was, wenn das mit der Ruhe gar nichts wird?«
    »Wir erleben einen der heißesten Sommer aller Zeiten. Es hat seit Jahren nicht geregnet. Das Valley ist natürlich wunderschön, aber knochentrocken. Wer bitte wollte Weihnachten in einer Wüste verbringen?« Lola schlug das Reservierungsbuch auf. »Hier, sieh selbst. Nicht eine Menschenseele. Ich Arme werde mutterseelenallein durch das Motel irren,
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