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13 alte Esel

13 alte Esel

Titel: 13 alte Esel
Autoren: Ursula Bruns
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1. Kapitel

    Über die breite Dorfstraße fegte der Regen in harten, schrägen Stößen. Von den Dachrinnen schossen gurgelnde Güsse durch die Rohre und überschwemmten die Gehsteige. Im Nu bildeten sich schmutzige Wasserlachen; die Regentonne bei der Schmiede füllte sich platschend. Eine dichte Wolkendecke hatte sich vor den Mond geschoben.
    Stationsvorsteher Bennekamp stemmte die Schultern gegen den Sturm und stapfte mühsam durch die Finsternis, den Hut tief in die Stirn gedrückt, den Nacken in den hochgeschlagenen Mantelkragen geduckt. Von unten drang ihm das Wasser in die Stiefel, an den Ärmeln des Lodenmantels entlang lief es in die Taschen. »Sauwetter !« knurrte er zwischen den Zähnen, und wie zur Bestätigung wehte ihm eine jähe Bö den Hut vom Kopf. Als er sich bückte, stieß er mit der Stirn gegen die Mauer des Pastorats. Vor seinen Augen flimmerte es; einen Augenblick lehnte er taumelnd an der glitschigen Wand, ehe er den Hut aus einer Pfütze fischen konnte. Zornig knüllte er ihn zusammen und stopfte ihn in die Tasche. Naß war er ja nun ohnehin. Im Weitergehen fühlte er, wie ihm oberhalb der Schläfe eine Beule wuchs, doch kam er nicht einmal dazu, sie mit den Fingern abzutasten. Auf dem Kirchplatz schleuderte ihn ein Windwirbel fast in den Wasserstrahl, der aus dem Traufrohr über der Sakristei niederklatschte. Seine Laune näherte sich dem Gefrierpunkt. »Dieser Müller«, knirschte er ingrimmig, »der Kerl bringt mich noch um .« Bis acht Uhr war es trocken gewesen, und hätte er nicht an Müllers Statt den Acht-Uhr-fünfunddreißig-Zug noch abfertigen müssen, säße er längst wohlbehalten und behaglich auf seinem allsamstäglichen Platz am Stammtisch. Aber Müller einen Zug abfertigen lassen? Der Himmel mochte wissen, was daraus werden würde. Nein, nein, das mußte er schon selber machen. Und so plagte er sich nun mit diesem vermaledeiten Sturm herum, und wieder einmal war, wie fast immer in den letzten zwei Jahren, an seinen Leiden Müller schuld, Waldemar Müller, sein Assistent. »Total unfähig, der Bursche«, explodierte er wenig später vor dem Stammtisch, der die in allen Regenbogenfarben schillernde Beule anfeixte. »Ein kompletter Beschlag zu meinem Sarg! Wenn bis morgen früh auch nur noch ein Güterzug fällig wäre, hätte ich den ganzen Abend keine ruhige Sekunde .«
    Während er sich zum Zeichen seines abgründigen Zornes den Schal förmlich vom Halse riß und den Mantel so rabiat auszog, daß ganze Regenschauer durch die Gegend spritzten, dachten die anderen an den armen Waldemar. Jedermann im Dorf wußte von dem Kriegszustand zwischen Bennekamp und seinem Assistenten. Müller war ein schüchterner, ungeschickter junger Mann, ein Tolpatsch, der vor übergroßer Dienstbeflissenheit seinem Vorgesetzten dauernd auf die Hühneraugen trat. Bennekamp hinwiederum war cholerisch und von Langeweile geplagt. So schurigelte er Müller, der in ständiger Erwartung eines Ausbruchs von oben auch in den wenigen Friedenszeiten angstvoll zitterte und nachgerade wirklich alles verkehrt machte.
    Der niedrige, langgestreckte Schankraum war erfüllt von Stimmengewirr und Knasterqualm, vom Schwaden der feuchten Mäntel neben dem Kanonenofen und dem penetranten Gestank nasser Gummistiefel, die in der Wärme trockneten, von Bratkartoffeldunst und säuerlichem Biergeruch. Dieser abgründigen Männerbehaglichkeit hielt Bennekamps Zorn nicht stand. »Zwei Wacholder, ein großes Pils«, bellte er noch zur Theke hin, dann klemmte er sich aufatmend auf seinen Platz neben dem Pastor.
    Pfarrer Winkelmann, ein rotgesichtiger, hünenhafter Fünfziger, gehörte nach Ansicht seiner Schwester Lisbeth nicht in eine Kneipe, und schon gar nicht an einen Stammtisch. Seine Gemeinde aber nahm es ihm nicht übel. Im Gegenteil: Seine imponierende Gegenwart gab dem Krug an Samstagabenden eine zugleich gesittetere und gemütlichere Atmosphäre, und seine in kernigstem Westfälisch vorgebrachten Bibelzitate, mit denen er die Reden seiner Freunde kommentierte, gingen wie ein Lauffeuer durch das schmunzelnde Dorf. Zur Stammtischrunde gehörten weiter Förster Kösters und sein Bruder, der Doktor, dem es in vorgerückter Stunde keine Ruhe ließ, bis er irgendeinen Streich ausgeheckt und seinen Freunden aufgeschwatzt hatte. Opfer dieser etwas beängstigenden Art von Humor war meist der Bürgermeister Große-Witte. Jeden Sonntag schwor er hoch und heilig, nie wieder den Krug zu betreten; und jeden Samstag saß er zwischen
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