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Kriegsgebiete

Kriegsgebiete

Titel: Kriegsgebiete
Autoren: Roland Spranger
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Prolog

    Provinz
Kunduz (Afghanistan)

    Serpentine
für Serpentine tasteten sich die drei Mowag Eagle talwärts. Langsam. So langsam, dass die Fahrer jeden Stein auf
der Piste nach seinen wahren Absichten befragen konnten. Selbst dem
afghanischen Dreck war nicht zu trauen. Das ganze Land war
minenverseucht. Daniel wusste, dass die Panzerung des Eagle okay war,
um vor leichteren Sprengladungen zu schützen. Bei stärkeren
Detonationen war sie nicht okay genug. Vor Explosionen schützte
man sich sowieso am besten, indem man sie großräumig
umfuhr.
    Von
der Passstraße aus betrachtet, erinnerten die kaugummiweich
geformten Berge an eine absichtsvoll idyllisch gestaltete
Modelleisenbahnlandschaft. Daniel hatte Lust, kleine Plastikmännchen
in die menschenleere Szenerie zu stellen. Ohne humanitäre Hilfe
und ohne militärischen Auftrag. Plastikmännchen eben.
    In
Dorfnähe gingen die unbefestigten Serpentinen in eine befestigte
Schotterpiste über. Nach einer Haarnadelkurve öffnete sich
das Tal gastfreundschaftlich. Ein beschauliches Mosaik aus gepflegt
bewirtschafteten Feldern. Friedlich. Verdächtig also. Dem
Frieden durfte man in diesem Land nie trauen. Trotzdem wenig
Möglichkeiten für einen Hinterhalt. Daniel beruhigte der
Blick aus den kugelsicheren Fenstern des Eagle IV. Der Schweiß
brannte in seinen Augen.
    Innenraumtemperatur
deutlich über vierzig Grad. Die Schutzweste ließ kaum
Luftzirkulation zu. Schwere Titanplatten und Kevlarfasern. Hielten
angeblich sogar Maschinengewehrbeschuss aus. Daniel war nicht gerade
erpicht darauf, die Weste einem Praxistest zu unterziehen. Wie die
meisten seiner Kameraden. Klar, ein paar Durchgeknallte gab’s
immer, die bereit waren, im Alleingang die Welt zu retten. Oder
wenigstens jede Menge Taliban umzunieten. Kampflüstern.
Kriegsgeil. Irgendwas mit fehlgeleiteter Sexualität. Und ein
bisschen zu sehr durch Call Of Duty sozialisiert. Zu diesen
Typen hielt Daniel den größtmöglichen Abstand, weil
sie gefährlich waren. Im Ernstfall vergaßen sie alle
taktischen Maßnahmen, die ihnen während ihrer Ausbildung
eingeimpft worden waren. Und dann ist es ziemlich scheiße, wenn
du zu dicht danebenstehst.
    Todessehnsucht
hatte keiner seiner Kameraden. Sterben hört auf, romantisch zu
sein, nachdem man es zum ersten Mal live gesehen hat. Ohne Regisseur
und passende Beleuchtung. Die Schutzwesten sollten verhindern, dass
man plötzlich in den Tunnel schwebte, um anschließend im
Jenseits zu landen. Oder im Nichts. Oder bei einer Wiedergeburt.
Dafür nimmt man das bisschen Schwitzen gern in Kauf. Daniel
wollte nichts weiter als eine stinklangweilige Überlandfahrt mit
anschließendem Personentransport. Ohne irgendeine Möglichkeit,
zum Helden zu werden. Ohne die Ausrüstung unter
Gefechtsbedingungen zu testen. Und hey!, dachte Daniel, das ist eine
Sicherheits- und Aufbaumission, kein Kampfeinsatz. Er besann sich auf
seine Rolle als aktiver Beifahrer. Routiniert drückte er einige
Tasten des Bordcomputers.
    »Noch
vier Kilometer bis zum Zielpunkt«, sagte Daniel.
    »Was
macht der Doc eigentlich in dieser Bauernhütte?«, fragte
Pöhlmann von der Rückbank.
    »Tee
trinken«, antwortete Timo, während er einem Schlagloch
auswich. »Hier trinkst du ständig Tee, wenn du mit den
Einheimischen in Kontakt kommst. Wenn du keinen Tee magst, dann musst
du so tun als ob.«
    »Ich
kann Tee nicht vertragen«, antwortete Kunz. Ein kurzer Blick in
den Rückspiegel genügte, um zu erkennen, dass Kunz
tatsächlich schon beim Gedanken an Tee kreidebleich geworden
war. An der Strecke oder am Fahrzeug konnte es nicht liegen. Bei
Patrouillenfahrten hatten sie schon Pisten überwunden, auf denen
das Fahrzeug so durchgeschüttelt wurde, dass die Insassen Gefahr
liefen, mit dem Kopf gegen den Fahrzeugrahmen zu knallen. Und im
Gegensatz zum Dingo, mit dem sie vorher durch die beschissene
afghanische Infrastruktur gurken mussten, war der Eagle sehr geräumig
und hatte eine echte Stoßdämpfung. Im Dingo mit seiner
sehr sehr sehr weichen Federung konnte man schnell mal seekrank
werden.
    »Hey«,
fragte Daniel, »verträgst du echt keinen Tee?«
    »Darauf
reagiere ich irgendwie allergisch. Mir wird schlecht und ich bekomme
kleine Pusteln am ganzen Körper.«
    »Von
jeder Teesorte oder nur von bestimmten?«, wollte Pöhlmann
wissen.
    »Von
jeder.«
    Daniel
zuckte mit den Schultern.
    »Vielleicht
irgendein traumatisches Erlebnis in deiner Kindheit.«
    »Ohne
Tee kommst du in diesem Land nicht durch«,
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