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Hacken

Hacken

Titel: Hacken
Autoren: Christoph Braun
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habe ihn zum letzten Mal vor fünfzehn Jahren gesehen. »Ich komme vorbei!«
     
    In einem Hofkino bin ich noch nie gewesen, da trifft es sich, dass mein Freund Dirk mich begleitet. Es ist ein Dienstag, es ist Herbst, und statt der von mir erwarteten fünfzig oder sechzig Menschen sitzt eine Runde von insgesamt sieben Filminteressierten am langen Küchentisch. Er steht im Erdgeschoss des Holzhauses, das Norbert etwa fünfzehn Jahre zuvor gebaut hat. Ich habe das Gefühl, in die Privatsphäre Wildfremder eingedrungen zu sein. Das hat jedoch bald ein Ende. Inmitten lauter weltoffener Menschen sehe ich Jarmuschs Reigen wieder, von ein paar Szenen voller übersüßter Melancholie abgesehen immer noch ein Filmmit Drive und Komik und Gegenwart. Nicht zu vergessen der erst zwanzigjährigen Winona Ryder voller Talent und Hoffnung. Traurig, dass sie hinterher so viele Rehäuglein-Figuren spielen wollte, denke ich noch, da setzt die Runde schon die nächsten Termine an. Filmisch geht es hinein in diesen Winter 2008/2009, der mein letzter am Theater bleiben wird. Die Politik des Hofkinos heißt: der gute Arthouse-Konsensfilm, und als der letzte Grünkohl geerntet ist, reichen Norbert und Bianca eine Suppe daraus. Auf dem Bildschirm trifft »Louis« auf »seine außerirdischen Kohlköpfe«, Frankreich 1981, Regie Louis de Funès.
     
    Am Theater gehen die Dinge ihren letzten Gang. Einige Kolleginnen sind schon öfter in Frankfurt als in Berlin, mein ehemaliger Co-Bariton verlässt ebenfalls das Haus. How shocking für mich, organisieren, terminieren, um des Tuns willen. Es bleibt wieder etwas Zeit für die Sorge um mich. Wenn, wie der Philosoph Robert Pfaller schreibt, »Eleganz« beim Betrachten im Spiegel eines fiktiven Selbst besteht, dann sind die drei Jahre des Pendelns nicht durch Eleganz gekennzeichnet gewesen. Ich-Ideal und Ich-Wirklichkeit klaffen zu weit auseinander, wenn es um meine Arbeit geht. Das Nachrichtenschreiben und Rezensieren für
spex.de
gibt mir die Möglichkeit, mich der Kolumne einer heißgeliebten Musik zu widmen: »Bass« heißt die monatliche Sammlung von Stücken und Alben, in der ich über Dub, Dubstep und Dubtechno schreibe. Musik, die in Synkopen schlägt, und die das volle Frequenzspektrum auslotet, alles, was zu hören ist zwischenunter 100 und an die 20   000 Hertz. Musik, die aus Soundsystemen heraus direkt auf den Körper zugreift mit ihren Sub-Bässen. Am Theater hatte ich eine Dubstep-Reihe organisiert, hier klafften Stammpublikum und Partyvolk so weit auseinander, dass es keine Berührungspunkte gab. Ein
tag
auf der Toilette konnte hier schon einen Skandal auslösen. Kritzeleien!
     
    Wie aber würde diese Musik ohne ihre sozialen Zusammenhänge in den Clubs klingen, ohne Ausgehen und Handschlagrituale?
    MUSIK HÖREN
    Ein Schlag, und: Nachbeben in langen Wellen. Bummm! Bumm umm um m. Aus den Untiefen des Klangs heraus winden sich alsbald die Höhen hervor und klingeln schrill wider in den Ohrmembranen. Als Mittlerin schält sich jetzt eine neutral gelaunte Fläche aus den Mitten heraus. Sie greift nach unten und krallt sich die Sub-Bässe, schnellt nach oben und frisst das Grelle. Diese Musik wirkt. »Plane« zum Beispiel, ein Stück des Bristoler Duos Emptyset. Die Popmusik der englischen Hafenstadt ist immer schon von den großen Bewegungen über den Atlantik geprägt gewesen, die aggressive Expansion Englands gen Übersee, die Emigration von Jamaika und anderen Inseln der Karibik von den ehemaligen Kolonien in Richtung Großbritannien. In Bristol bliebein besonders hoher Anteil der Armutsflüchtlinge von den Westindischen Inseln. Mit der Zeit wurde Bristol neben London zur wichtigsten Stadt Europas für die Soundsystemmusik, die mit den Schiffen von den ehemaligen Hoheitsgebieten des Empire über den Ozean orgelte: Rocksteady, Reagge, Dub, Dancehall …
     
    Physis. Die Sensation dieser Musik besteht im unablässigen Forschen, in windigen Operationen am Klangmaterial an sich. All das bleibt dabei immer Körpermusik, Klang, der seine unmittelbaren Abdrücke hinterlässt am Menschen. Aus dem Dixit des Dub-Granden Lee »Scratch« Perry »Ich bin der erste Wissenschaftler, der Reggae mixt, um herauszufinden, was Reggae wirklich ist« hat sich längst ein Kontinuum entwickelt. Es besagt nach gut vierzig Jahren Studioforschung: Wer fragt, was Reggae wirklich ist, erhält keine Antwort mit Letztbegründung, dafür aber eine Auffaltung von Tönen, Labyrinthe fließender Klänge, Echos und
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