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Großer-Tiger und Christian

Großer-Tiger und Christian

Titel: Großer-Tiger und Christian
Autoren: Frritz Mühlenweg
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Vorwort
    Am 20.   Mai 1927 brach in Paoto eine Karawane auf. Das war an sich etwas höchst Alltägliches in dieser nordchinesischen Stadt, die
     am Rande der Mongolei liegt. Damals war sie Endpunkt der Bahnlinie von Peking und somit Ausgangspunkt für unzählige Kamelkarawanen,
     die von hier nach Hami oder ins ferne Ostturkestan zogen und wie seit Jahrtausenden den Handel beförderten. Aber die dreihundert
     Kamele der Karawane vom 20.   Mai trugen keine Reis- oder Baumwollsäcke, Felle oder Seidenballen, sondern Kisten voller Bücher, verschiedener Messinstrumente,
     Papiere, Pilotballons und dergleichen und, als befremdlichste Ladung, Wasserstoffflaschen, die sorglich in Filz eingewickelt
     waren   ... Man konnte daran gleich sehen, dass es keine Karawane von Handelsleuten war, die da durch Paotos Nordtor zog, sondern
     eine Karawane von Gelehrten hoher Grade. Und in der Tat: Es waren chinesische und europäische Wissenschaftler und Studenten,
     die hier zum ersten Male gemeinsam auf Forschungsreise gingen.
    Diese ganze »wandernde Universität« stand unter der Leitung des schwedischen Forschungsreisenden Sven Hedin. Dieser hatte
     auf verschiedenen Entdeckungsreisen vor und nach der Jahrhundertwende die letzten weißen Flecken auf der Karte Innerasiens
     ausgefüllt. Hedin war als erster Europäer zu den Quellen des Indus und Brahmaputra vorgedrungen, hatte den riesigen Gebirgszug
     des Transhimalaja entdeckt und in der Lop-Wüste die versunkene Stadt Lou-lan gefunden und in ihr das älteste Stück Papier
     der Welt, das um 200 n.   Chr. mit chinesischen Tuschzeichen bedeckt worden war!
    Jetzt, im Alter von zweiundsechzig Jahren, war Sven Hedin Leiter der größten wissenschaftlichen Expedition, die je in Innerasien
     gereist war. Geografen, Archäologen, Botaniker, Metereologen,Paläontologen, Ethnografen und Geologen trugen im Laufe der achtjährigen Expedition in verschiedenen Forschungsgruppen ein
     ungeheures Material zusammen, dessen Auswertung bis heute noch nicht abgeschlossen ist.
    Auch Flugsachverständige waren mitgenommen worden, denn von der deutschen Lufthansa war die Einrichtung einer Fluglinie Berlin   – Peking geplant, die große Strecken über die Gobi und Takla-Makan führen sollte. Von beiden Wüsten lagen keine metereologischen
     Daten vor. Daher mussten feste meteorologische Stationen eingerichtet, Landungsmöglichkeiten, Bodenbeschaffenheit, Wasservorkommen
     und vieles andere mehr erst erkundet werden. All die damit zusammenhängenden Forschungsarbeiten und ihre Ergebnisse bildeten
     die Grundlagen für die verkehrstechnische Erschließung Innerasiens.
    Fritz Mühlenweg war Mitglied dieser letzten großen Expedition Sven Hedins. Er war 1898 geboren, hatte als gelernter Kaufmann
     zuvor für die deutsche Lufthansa gearbeitet und erledigte jetzt alle Kassen- und Rechnungsgeschäfte, neben organisatorischen
     und metereologischen Aufgaben. Innerhalb der Expedition nahm er in den Jahren 1927   –   1932 an drei verschiedenen Reisen teil. Gleich zu Anfang hatte er Mongolisch gelernt, denn wie er einmal schrieb: »Wer die
     mongolische Sprache spricht und wer die Gesetze des Mongol-Joss, des Gesetzes Dschingis-Khans, beachtet, wird dort aufgenommen
     wie ein Bruder.«
    Das war überall so, bei einfachen Nomaden, Lamas oder Mongolenprinzen. Wie einer von ihnen feierte er Neujahrs-, Frühlings-
     und Tempelfeste, Verlöbnisfeiern und Hochzeiten und erlebte aber auch alles mit ihnen, was es in Wüste und Steppe an Fährnissen
     gibt: Wassermangel, Hunger und den Weg verlieren, Viehsterben und Wolfsjagd, Sandstürme, eisige Kälte und Flucht vor Räubern.
     Und gemeinsam erlebten sie auch im Dezember 1931, dass in der Wüste die neue Zeit angebrochen war. Damals landete nämlich
     am Edsin-Gol erstmals ein »Flügelwagen«, d.   h. eine Junkers Maschine, die die erste Flugpost in dieGobi brachte und acht Stunden für die Strecke nach Urumtschi brauchte, die sonst eine fünfzigtägige Kamelreise bedeutete.
    Mit der Zeit lernte Fritz Mühlenweg, dass Mongolisch reden nicht allein besagt, dass man die Sprache beherrscht, sondern dass
     man auch fähig sein muss, sich »mongolisch« auszudrücken, das heißt: so dunkel und unbestimmt, dass der Gesprächspartner zum
     Nachdenken angeregt wird. Denn Menschen, die geradeheraus und ohne jede Umschreibung sprechen, gelten als ungehobelt und bar
     jeder guten Lebensart. Dazu gehört auch, dass man sich niemals seines Glückes rühmen darf. Denn
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