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Hacken

Hacken

Titel: Hacken
Autoren: Christoph Braun
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ungefähr zwanzig Minuten kündigen sich die ersten Anzeichen des Flows an, jenes menschlichen Zustands, in dem Körper und Kopf nur noch machen und die Gedanken in wundervollen Dosierungen am Hirn vorbeiströmen. Wenige Minuten später setzt das »Hacker’s High« ein: Ein sanfter Rausch, ähnlich dem Hochgefühl stundenlangen Ravens oder dem Glück des Marathonläufers. Drogenpäpste betonen ja die Rolle der unmittelbaren Umgebung für den Rausch. Timothy Leary hat dafür die Schlagwörter »Set und Setting« geprägt und meint damit: Entscheidend sind die Stimmung des Drogenessers sowie seine unmittelbare Umgebung. Ohnehin geflasht von der neuen Arbeit, von den Gerüchen des Gartens und dem Überschuss an Farben, schicken mich meine ersten Expeditionen in die Nutzgartenwelt, also weit, weit weg.
     
    Dennoch bedeutet Hacken eine extreme Erfahrung des Ortes. Es ist eine Auseinandersetzung mit dem ganz spezifischen Terroir, wie die Winzer das komplexe Zusammenspiel des Bodens mit dem Klima nennen. Und darüber hinaus auch eine Erkundung des Örtlichen. Spaziergänger passieren den Garten über den Feldweg, der Dorfkindergarten geht auf Roller-Safari, Bauern bestellen die Felder in ihren John Deere, Fendt, Claasen. Unterdessen nehmen im Beet Bakterien den Kontakt auf, und Würmer und Bienen. Ich fokussiere auf Himbeerknospen.
     
    Und ich lerne: hacken. Mein bisheriger Evessener Rhythmus lautet Dorf-Hang-Berg. Unten im Dorf spielt sich der Alltag ab, Schreiben und Kindergarten. Am Südhang des Elms drehe ich meine Runden. Sie führen mich regelmäßig auf das Eilumer Horn. Es ist zwar nur 326 m ü NN hoch, bildet als Gipfel des Elms jedoch den höchsten Punkt weit und breit. Wenn die Region ringsum nicht einmal auf 200 Metern Meereshöhe liegt, dann erschließt sich vom Gipfelkreuz aus ein Panorama. Im Osten blinken nachts die Windräder der Magdeburger Börde. Im Süden der Harz: Jedes Dorf im Umland nennt sein Premium-Baugebiet »Brockenblick«. Im Westen schließlich bildet die Industrieachse Salzgitter-Braunschweig-Wolfsburg die Grenze zur Heide.
     
    Nun also erweitert sich der Takt aus Dorf-Hang-Berg um einen vierten Schlag. Garten-Dorf-Hang-Berg, so heißt fortan der Takt, in dem meine Orte pulsen. Eine Verkettung von Motiven, die sichzum Kreis zu schließen vermag und zu einem Perpetuum mobile wird. Denn für das Verstehen des Lebens hier auf dem Land erweist sich der Garten, der Nutzgarten in Eilum als höchst bedeutungsvoll. Hacken, pflanzen, gießen; jäten, hacken, gießen, ernten: Auf dem Feld mit dem Traktor und in den Beeten mit der Hand bestimmen die Grundtechniken der Pflanzenpflege den Jahresablauf. Jede Pflanze durchläuft ihren eigenen Zyklus, und am Ende fügt sich doch alles dem andauernden Immerneuen der vier Jahreszeiten.
     
    Durch das Hacken erst wird mir bewusst, wie es ist, mit statt in den Jahreszeiten zu leben. Die Eigenarten der Nutzpflanzen beginnt zu verstehen, wer jeder einzelnen Sorte den Boden bereitet und so vom Samen auf verfolgen kann, wie sich die Pflanze verhält im ersten Regen, bei äußerster Hitze, im Stadium der Reife. Ich hacke und greife damit auch in meine eigene Biografie ein.
    DER MOMENT: HACKEN
    Bis dahin hat der Begriff »Hacken« für mich lediglich eine eindeutige Bedeutung. Sie besteht darin, einzugreifen in die Hard- oder Software von Computern oder eben deren Kommunikation zu manipulieren. Eine Welt aus digitalen Geschichten hat mich seit der Marktreife des Commodore C64 umgeben – in der Zeit, als ich zum ersten Mal ins Gloria tanzen ging.
     
    Gegen Ende des ersten Dotcom-Hypes um das Jahr 2000 lebte ich eine Weile in der Gesellschaft schluffiger, cooler Gestalten. Man hatte mir die Kulturredaktion in einem Berliner Start-up angetragen, und so bekam ich es mit Junghackern zu tun. Sie entwickelten ortsbezogene Anwendungen in einer Zeit, in der allerhöchstens Hacker bereits von Apps sprachen. Die Gründer der Firma gehörten zur Code-Avantgarde ihrer Zeit. Viele der Angestellten waren Hacker-Aktivisten und im Chaos Computer Club organisiert. In ihrer knapp bemessenen Freizeit fuhren sie in die Sächsische Schweiz zum Klettern. Sie kifften gerne, trugen schwarz oder Anti-Microsoft-T-Shirts. »Alt + F4« stand darauf, die Tastenkombination, mit der sich das Betriebssystem Windows schließen lässt. Ihre Gesichter waren von Pickeln übersät, weil sie nachts arbeiteten und sich schlecht ernährten. Auf der Etage der Programmierer durfte sogar geraucht werden,
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